Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
Vom Netzwerk:
eins, deinen heiß geliebten, vergötterten Gradow, nur sein Wort gilt für dich. Du bist wie ein Köter, der nur dann etwas versteht, wenn man ihn tritt. Aber dein Gradow ist genauso ein Schwachkopf wie du selbst, er wird dir nie etwas Vernünftiges sagen. Du wirst krepieren, bevor du etwas kapiert hast auf dieser Welt, weil du nicht auf Leute hören willst, die gescheiter sind als du.«
    Onkel Kolja ertrug geduldig alle Beleidigungen, weil er jetzt ein Ziel hatte. Jetzt wusste er, dass er seinem Boss helfen musste. Und deshalb musste er Arsenn zwingen, seinen Vertrag doch noch zu erfüllen. Offenbar hatte Sergej Alexandrowitsch ihn nicht dazu überreden können. Aber Fistin würde gar nicht erst den Versuch machen, ihn zu überreden. Er würde ihn zwingen. Aber vorher musste er etwas über ihn in Erfahrung bringen. Deshalb hatte er Arsenn auch um dieses Treffen gebeten, obwohl er wusste, dass Arsenn ihn mit Kübeln von Dreck übergießen würde.
    Als Erstes musste Onkel Kolja jetzt seine Jungs losschicken, damit sie Arsenns Adresse herausfanden. Danach würde man weitersehen. Diesmal wird Arsenn einen Tritt in seine widerliche, zerknitterte Fresse bekommen, sagte sich Fistin.
    Mit seinem winzigen Verstand konnte Onkel Kolja sich nicht einmal annähernd vorstellen, wer und was das war, Arsenn und sein Kontor.
    * * *
    Oberst Gordejew sah aus dem Fenster. Aus irgendeinem Grund sahen bei schmutzigem Winterwetter alle Straßen gleich aus, überall dasselbe Bild, ob im Zentrum oder am Stadtrand, auf der Stschelkowskij-Chaussee, wo Nastja wohnte. Hier und dort von Schmutzwasser überflutete Trottoirs, brauner Matsch, der unter den Rädern der Autos hervorspritzte, graue, mit Schneeregen voll gesogene Mäntel und Jacken. Oder sah das alles nur heute so eintönig aus? An diesem Tag, an dem er und Nastja unter Aufbietung all ihrer Kräfte aufhören mussten, sie selbst zu sein, an dem sie sich in widerwärtige, zynische, bösartige Kreaturen verwandeln mussten. . .
    Gordejew sah durch die trübe Scheibe des seit langem nicht mehr geputzten Fensters und dachte daran, dass er jetzt einen Menschen in die Enge treiben musste, den er liebte und schätzte, einen, der wie ein Sohn für ihn war. Er musste einem Menschen, der ein schreckliches Unglück hinter sich hatte und dessen Leben ohnehin schwer genug war, einen tödlichen Schrecken einjagen. Er musste etwas tun, das ihm Schmerzen, sehr große Schmerzen bereiten würde, er musste seine Ehrlichkeit und Standfestigkeit, seinen Verstand und seine Ausdauer auf die Probe stellen, und das nur deshalb, weil dieser Mensch etwas tun musste, wozu ihn weder logische Argumente noch Überredungskünste hätten bringen können. Und er, Gordejew, würde erneut lügen müssen. Zum wievielten Mal an diesem Tag?
    Gordejew hörte, wie die Tür sich leise öffnete, aber er drehte sich nicht um.
    »Haben Sie mich gerufen, Viktor Alexejewitsch?«
    »Ja.«
    Er löste sich langsam vom Fenster, ließ sich schwerfällig in seinen Schreibtischsessel fallen und bedeutete Larzew mit einer müden Handbewegung, Platz zu nehmen.
    »Entschuldige, dass ich dich von dem Verhör weggeholt habe.«
    »Macht nichts, im Grunde hatte ich es bereits abgeschlossen.«
    »Gut, gut«, murmelte Gordejew. »Ich wollte mich nämlich mit dir beraten, du bist doch der beste Psychologe in unserer Abteilung. Es sieht schlimm aus bei uns, mein Freund.«
    »Was ist los?«, fragte Larzew angespannt. In seinem Gesicht zuckte kein einziger Muskel, es war wie aus Stein. Hinter diesem Stein erblickte der Oberst die riesige innere Anspannung eines Menschen, der so viel auszuhalten hatte, dass er keine Kraft mehr für Gefühle aufbrachte.
    »Ich fürchte, unsere Anastasija ist abgesprungen.«
    Larzew schwieg, aber der Oberst sah das schlecht verhohlene Entsetzen in seinen Augen.
    »Noch gestern hatte sie interessante Ideen im Fall Jeremina, aber heute Morgen hat sie mich plötzlich angerufen und erklärt, sie sähe in weiteren Ermittlungen keinen Sinn mehr, alle ihre Versionen hätten sich als falsch erwiesen, nun würde ihr nichts mehr einfallen. Außerdem würde es ihr nicht gut gehen, sie hätte sich krankschreiben lassen. Was folgt aus alledem?«
    Larzew schwieg immer noch, nur das Entsetzen in seinen Augen wich langsam einem Ausdruck von Resignation.
    »Daraus folgt«, fuhr Viktor Alexejewitsch mit monotoner Stimme fort, während er an Larzew vorbeisah, »dass sie sich entweder hat kaufen lassen, oder man hat sie eingeschüchtert, und

Weitere Kostenlose Bücher