Der gestohlene Traum
sie hat sofort kampflos nachgegeben. Eins ist so mies wie das andere.«
»Nicht doch, Viktor Alexejewitsch, das kann nicht sein«, sagte Larzew endlich mit fremder, zu lauter Stimme und holte seine Zigaretten aus der Hosentasche.
Natürlich kann es nicht sein, dachte Gordejew. Der ganze Witz besteht nur darin, dass du so nicht denkst. Du weißt genau, dass man sie eingeschüchtert hat. Du sagst die volle Wahrheit über Anastasija und lügst gleichzeitig. Was für Streiche das Leben doch so spielt. Nun gut, ganz offensichtlich hast du nicht vor, mir reinen Wein einzuschenken. Ich habe dir eine Chance gegeben, aber du hast sie nicht genutzt. Deine Angst vor ihnen ist größer als dein Vertrauen zu mir. Hol dir jetzt eine Zigarette aus der Schachtel, danach wirst du eine halbe Stunde lang nach deinem Feuerzeug suchen und ewig daran herumschnippen, bis es brennt. Schinde ruhig Zeit und überlege, wie du mich davon überzeugen kannst, dass Nastja ehrlich ist, aber schwach. Komm schon, mein Freund, überzeuge mich, ich werde dir nicht widersprechen. Ich werde den Vernichteten spielen und dir vielleicht zustimmen. Ich bin mir inzwischen selbst so zuwider, dass ich bereit bin, allem zuzustimmen.
»Ich glaube, Sie übertreiben, Viktor Alexejewitsch. Es ist ihr erster Fall, den sie nicht hinter dem Schreibtisch löst, sie schlägt sich schon seit anderthalb Monaten damit herum, ohne jedes Ergebnis, und es ist verständlich, dass sie erschöpft ist. Was hat sie denn bisher getan? Sie hat in ihrem Büro gesessen, Informationen ausgewertet und Rechenaufgaben gelöst. Bisher hat sie kaum je einen Verbrecher mit eigenen Augen gesehen. Und jetzt, da sie dieselbe Arbeit machen muss wie alle andern, ist ihr klar geworden, dass ihre Theorien zu nichts nutze sind, dass man damit keinen Mord aufklären kann. Das hat ihre Nerven angegriffen. Und wer sollte sie unter Druck setzen? Es ist ein ganz primitiver Fall, das Opfer eine Herumtreiberin und Alkoholikerin, wer sollte sich dafür interessieren? Die Mafia hat andere Sorgen. Nein, das alles ist völlig unwahrscheinlich. Und unsere Nastja ist ein nervöses Mädchen, sehr sensibel und nicht gerade von strotzender Gesundheit. Insofern ist ihr Verhalten durchaus verständlich. Denken Sie nichts Schlechtes von ihr.«
Falsch, mein Freund, dachte Gordejew, ganz falsch. Hast du vergessen, wie sie eine ganze Nacht allein mit einem Mörder zugebracht hat, der gekommen war, um sie zu töten? Ist dir entgangen, dass sie vor zwei Monaten eine höchst gefährliche Mafiabande entlarvt hat, auf deren Konto mehr als ein Dutzend Morde ging und mit deren Mitgliedern sie täglich in Kontakt war? Nichts hast du vergessen, nichts ist dir entgangen, aber du verfolgst dein eigenes Ziel, und ich verstehe dich. Du kannst nicht anders. Du willst mich glauben machen, dass Anastasija von niemandem eingeschüchtert wurde, dass sie den Fall Jeremina ganz freiwillig aufgegeben hat. Nur zu, lass dich nicht abhalten. Immerhin verteidigst du dein eigenes Interesse und versuchst gleichzeitig, mich auszuhorchen. Du hoffst darauf, dass ich dir jetzt brühwarm erzähle, was Nastja in diesem Fall herausgefunden hat. Hoffe nur.
»Es war von Anfang an aussichtslos, Viktor Alexejewitsch. Wie soll man den Mörder einer trunksüchtigen jungen Frau mit Dachschaden finden? Sie kann mit jedem x-Beliebigen mitgegangen sein, an jeden x-beliebigen Ort. Nastja hat sich überschätzt, hat sich in ihre schlauen Versionen verbissen und ihre ganze Kraft in den Fall investiert. Ich kann sie verstehen. Es war immerhin ihr erster Fall, und natürlich sollte es ein möglichst diffiziler Fall mit mafiosem Hintergrund sein. Das organisierte Verbrechen hat zwar stark zugenommen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass mindestens die Hälfte aller Morde immer noch aus ganz banalen Gründen begangen wird. Eifersucht, Rache, Geld, Neid, Familienstreit, kurz, ganz simple menschliche Gefühle. Nach Mafia hat es in dieser ganzen Geschichte nie gerochen. Aber damit wollte Nastja sich nicht abfinden, sie hat sich einen spektakulären Mordfall gewünscht. Sie hat sich ständig neue Versionen ausgedacht, eine schlauer als die andere, und auf die Überprüfung dieser Versionen hat sie ihre ganze Zeit und Energie verschwendet.«
»Nein, Wolodja, ich glaube nicht, dass es so einfach ist«, sagte Gordejew. »Wir beide kennen Nastja nicht erst seit gestern, sie gibt nicht so schnell auf. Es kann passieren, dass sie krank wird, aber sie gibt nicht auf. Und
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