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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Sie malte die Nachbarwohnung aus. Zuerst kam sie in ihren Arbeitspausen ab und zu auf eine Tasse Tee. bei mir vorbei, eines Tages schlug sie mir vor, etwas zu kochen. Sie behauptete, dass sie das sehr gut könne und dass sie furchtbar gern einmal für einen Mann kochen würde anstatt immer nur für ihre Freundinnen im Wohnheim. Ich hatte nichts dagegen, Vika gefiel mir, sie erschien mir sehr nett und offen. Zudem war sie eine außergewöhnliche Schönheit.«
    »Boris . . .« Nastja wurde verlegen. »Hatten Sie nichts gegen die Art von Arbeit, der Vika nachging?«
    »Ich war nicht begeistert darüber, aber nicht aus Eifersucht, sondern aus rein menschlichen Gründen. Wenn eine junge Frau sich ihren Lebensunterhalt durch Prostitution verdient, weil sie nichts anderes kann, womit sie viel Geld verdienen würde, dann ist das in jeder Hinsicht sehr traurig. Aber das konnte ich Vika nicht sagen.«
    »Warum nicht?«
    »Welche Alternative hätte ich ihr anbieten können? Die Firma hat sofort eine Wohnung für sie gekauft und eingerichtet, zudem verdiente sie dort in einem Monat so viel wie ich in einem ganzen Jahr. Solange sie noch Malermeisterin war, habe ich ihr Geschenke gemacht und sie verwöhnt. Aber dann wurde alles anders, dann war sie es, die mir Geschenke machte. Zuerst hat mich das alles sehr verwirrt, aber dann habe ich nachgedacht und einiges verstanden. . .«
    »Was haben Sie verstanden?«
    »Das Waisenhaus. Versuchen Sie, sich das vorzustellen, und Sie werden auch verstehen. Sie hatte nie das, was andere Kinder haben, die in einer Familie aufwachsen. Vika versuchte immer, diesen Mangel zu kompensieren, etwas nachzuholen. Sie hatte keine guten Erinnerungen an das Waisenhaus, Olga Kolobowa war die einzige Freundin aus dieser Zeit, zu der sie noch Kontakt hielt. Die Beziehungen zu allen Freundinnen aus dem Wohnheim hat sie ebenfalls abgebrochen. Sie wollte einen ganz eigenen, individuellen Freundeskreis haben, Menschen, die sie sich selbst ausgesucht hatte, anstatt mit denen befreundet zu sein, mit denen sie das Schicksal zufällig in einer Schulklasse, in einer Gruppe oder in einem Zimmer zusammengeführt hatte. Sie wollte selbst bestimmen, was sie tat und mit wem sie verkehrte. Ihre persönliche Wahl war nicht immer die beste, aber ich konnte ihr schließlich nichts vorschreiben. Für sie war es nur wichtig, dass sie ihre Freunde selbst auswählte, auch wenn sie sich gelegentlich mit zwielichtigen Typen einließ. Genauso war es mit den Geschenken für mich und mit ihrem Kocheifer. Sie wollte für jemanden sorgen, sie wünschte sich eine Familie. Alle diese Wünsche hat sie mit Macht auf mich übertragen, und mit der Zeit begann mir das sogar zu gefallen.«
    »Wäre sie gern Ihre Frau geworden?«
    »Vielleicht. Aber sie war klug genug, mich nicht darauf anzusprechen. Sie wusste, dass ihr Lebenswandel nicht vereinbar war mit einem Dasein als Ehefrau.«
    »War es denn unbedingt notwendig, dass sie diesen Lebenswandel beibehielt?«
    »Ich habe Ihnen schon gesagt, dass Vika viel Geld haben wollte. Sie war nicht habgierig, sie hat das Geld nicht gespart, ganz im Gegenteil, sie hat es mit vollen Händen ausgegeben. Mit ihrem hemmungslosen Verlangen nach Wohlstand kompensierte sie ebenfalls ihre armselige Kindheit im Waisenhaus. Sie musste wählen zwischen ihrem Verlangen nach Geld und ihrer Sehnsucht nach einer Familie.«
    »Und Sie, Boris, hätten Sie sie gern geheiratet?«
    »Nun, ich war schon zweimal verheiratet und bezahle Alimente für eine Tochter. Natürlich hätte ich gern eine neue Familie gegründet und Kinder gehabt. Aber nicht mit Vika. Sie hat zu viel getrunken, um ein gesundes Kind zur Welt zu bringen und eine gute Ehefrau und Mutter zu sein. Sie hat gern Ehefrau mit mir gespielt, aber länger als zwei, drei Tage hielt sie es in dieser Rolle nie aus. Dann verbrachte sie ihre Zeit wieder mit einem ihrer Kunden, mit ihren Freunden, oder Sie lag auf dem Sofa und träumte. Möchten Sie noch Kaffee?«
    Boris füllte die Kaffeemühle erneut mit Kaffeebohnen und setzte die Erzählung von seiner unseligen, liederlichen Freundin fort.
    Viele Jahre, wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang, träumte sie immer wieder einen schrecklichen Traum. Manchmal mehrmals hintereinander, manchmal in Abständen von einigen Jahren. Aber immer wieder kehrte der Traum zurück. Ihr erschien eine blutige Hand. Den Mann, der zu dieser Hand gehörte, konnte sie nicht sehen, sie sah nur, wie er sie an einer weißen Wand abwischte und

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