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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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geschlafen?«
    »Natürlich habe ich noch geschlafen.«
    »Dann entschuldige. Bist du jetzt wach? Kannst du zuhören?«
    »Schieß los.«
    Nastja machte es sich so bequem wie möglich in ihrem Bett und stellte sich das Telefon auf die Brust.
    »Also, erstens: Die Sendung ›Freie Fahrt‹ ist am 22. Oktober von 21.15 bis 21.45 Uhr gelaufen. Zweitens: Viktoria Jereminas Mutter war wirklich Alkoholikerin, aber das Kind wurde nicht ins Kinderheim gesteckt, weil die Mutter wegen einer Entziehungskur abwesend war, sondern weil sie wegen vorsätzlichen Totschlags zu einer Haftstrafe nach Paragraph 103 verurteilt wurde. Bei Gericht wurde ihr allerdings gleichzeitig eine Entziehungskur verordnet. Sie ist wirklich an einer Vergiftung durch Spiritus gestorben, allerdings nicht in der Klinik, sondern im Lager, wo sie ihre Haftstrafe unter verschärfter Anstaltsordnung absolvierte.«
    »Warum verschärfte Anstaltsordnung? War das nicht ihre erste Haftstrafe?«
    »Nein, bereits die zweite. Vika wurde übrigens während der ersten Haftzeit geboren. In dem Waisenhaus hat inzwischen fast das gesamte Personal gewechselt, aber eine Erzieherin aus der damaligen Zeit ist noch dort. Sie hat bestätigt, dass man Vika nicht die Wahrheit gesagt hat, um sie nicht zu traumatisieren. Es reichte, wenn sie wusste, dass ihre Mutter Alkoholikerin war. Und jetzt kommt das Dritte und Schlechteste. Bist du bereit?«
    »Ich bin bereit.«
    »Valentin Petrowitsch Kosarj, der über so gute Beziehungen zu Medizinern verfügte, ist ums Leben gekommen.«
    »Wann?«
    »Wappne dich, meine Liebe, es scheint, wir sind da auf ein Wespennest gestoßen. Kosarj wurde überfahren. Es gibt aber keine Zeugen, niemand weiß, wie es passiert ist. Die Leiche lag einfach am Straßenrand, ein Autofahrer hat sie zufällig entdeckt. Der Fall wird von der Dienststelle im südwestlichen Bezirk bearbeitet. Mehr weiß ich bis jetzt nicht, aber ich will nachher mal bei den Kollegen dort vorbeischauen.«
    »Warte, Andrjuscha, warte.« Nastja runzelte angestrengt die Stirn und presste ihre freie Hand an die Schläfe. »Ich habe nur Brei im Kopf und verstehe kein einziges Wort. Wann ist das passiert mit Kosarj?«
    »Am fünfundzwanzigsten Oktober.«
    »Ich muss nachdenken. Fahr du zu den Kollegen, ich selbst gehe ins Büro und werde Knüppelchen Bericht erstatten, danach fahre ich zu Olschanskij. Wir beide treffen uns dann gegen zwei Uhr. Passt dir das?«
    »Wo treffen wir uns?«
    »Ich nehme an, du wirst mittags Kyrill füttern wollen.«
    »Ja, im Grunde schon . . .«
    »Dann hole mich bitte um halb zwei an der Metrostation Tschechowskaja ab, wir fahren zu dir nach Hause, du fütterst deinen Hund, und dann gehen wir ein bisschen spazieren. Weißt du, ich habe das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehen, wir stoßen sinnlos Türen auf und wissen selbst nicht, was wir finden wollen. Es wird Zeit, dass wir uns zusammensetzen und nachdenken. Stimmst du mir zu?«
    »Du weißt es besser. Schließlich sagt man nicht mir ein Computergehirn nach, sondern dir. Ich bin ja nur so etwas wie dein Laufbursche.«
    »Was redest du da?«, fragte Nastja erschrocken. »Bist du sauer auf mich? Andrej, Lieber, wenn ich etwas Falsches gesagt habe. . .«
    »Aber nicht doch, Nastja, bei dir muss man ja wirklich genau aufpassen, was man sagt. Du bist schon aufgewacht, aber dein Humor schläft noch. Um halb zwei an der Metrostation Tschechowskaja. Tschüs.«
    Nastja stellte das Telefon wieder an seinen Platz und trottete mit schweren Beinen zum Badezimmer. Sie fühlte sich miserabel. Die vagen Vermutungen, die sie seit kurzem heimsuchten, wurden immer schwerwiegender, und sie hatte keine Ahnung, was sie damit machen sollte.
    * * *
    Mit jedem Tag wurde Viktor Alexejewitsch Gordejews Stimmung düsterer. Seine Bewegungen wurden immer langsamer, sein rundes Gesicht immer spitzer und grauer, die Stimme immer stumpfer. Im Gespräch antwortete er immer häufiger mit einem zerstreuten »Soso«, was bedeutete, dass er wieder nicht zuhörte, sondern an etwas anderes dachte.
    Während der morgendlichen Einsatzbesprechung musterte er die Gesichter seiner Untergebenen und stellte sich immerzu dieselbe Frage: Wer von ihnen ist es?
    Er hatte einen Verdacht, aber es fiel ihm schwer, daran zu glauben. Und wenn es nicht der war, den er verdächtigte, dann war es ein anderer, und das machte die Sache auch nicht leichter. Er schätzte alle seine Mitarbeiter, deshalb machte es keinen Unterschied, wer der Verräter war, der Schmerz

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