Der gestohlene Traum
Unterstützung zu erwarten. Im Übrigen sei er, Morozow, nur für die Mordfälle in seinem Bezirk zuständig, und von diesem Mord wisse niemand, wo er begangen wurde, allem Anschein nach außerhalb der Stadt. Nastjas Bitten kam er nur sehr ungern und schleppend nach und tat alles, um sich der Zusammenarbeit zu entziehen. Nach drei, vier Tagen hatte Nastja es aufgegeben und machte die ganze Arbeit allein mit Tschernyschew.
Aber der Kamenskaja lag es nicht, sich zu beschweren und zu jammern, deshalb beantwortete sie die Frage ihres Chefs mit einem undeutlichen Murmeln.
»Alles klar«, erwiderte Knüppelchen kurz, er hatte sofort verstanden. »Ich werde bei Morozow anrufen und Erziehungsarbeit leisten. Spanne ihn ruhig ein, du brauchst ihn nicht zu schonen. Man könnte meinen, er hätte mehr zu tun als Tschernyschew. Übermorgen kommt der Praktikant und wird dir helfen. Außerdem kannst du immer auf unsere eigenen Jungs zurückgreifen, geniere dich nicht. Nur tu das unbedingt immer über mich, hast du verstanden? Als Chef werde ich ihnen Anweisungen erteilen und basta. Ich muss ihnen nichts erklären. Aber du wirst um Antworten nicht herumkommen, wenn sie dir Fragen stellen, nicht wahr?«
»Ja, natürlich. Sonst denken sie, ich spiele den großen Boss.«
»Ja, ja«, sagte der Oberst mit einem nachdenklichen Kopfnicken, und Nastja begriff, dass er wieder abwesend war.
Sie erhob sich von ihrem Platz und nahm ihre Unterlagen an sich.
»Ich gehe jetzt, Viktor Alexejewitsch?«, sagte sie halb fragend.
»Ja, ja«, wiederholte Gordejew und sah Nastja plötzlich mit einem seltsamen Blick an. »Sei vorsichtig, Nastjenka. Ich habe jetzt nur noch dich«, sagte er leise.
* * *
Im Gegensatz zu Gordejew war der Untersuchungsführer Olschanskij freundlich und liebenswürdig, aber auf die meisten Vorschläge, die Nastja ihm unterbreitete, reagierte er abweisend. Und Nastja ahnte, warum das so war. In der ersten Woche nach der Einleitung des Verfahrens im Mordfall Jeremina hatte der Untersuchungsführer mit Mischa Dozenko und Wolodja Larzew zusammengearbeitet. Mit Dozenko verband ihn nichts, aber Larzew gehörte zu seinen Lieblingen, was im Übrigen nicht verwunderlich war. Die beiden Männer waren auch privat befreundet, sie besuchten einander zu Hause, und auch ihre Ehefrauen hatten sich miteinander angefreundet. Als Larzews Frau vor anderthalb Jahren bei der Geburt ihres zweiten Kindes zusammen mit dem Kind gestorben und Wolodja allein mit seiner zehnjährigen Tochter zurückgeblieben war, waren es die Olschanskijs, die ihm beigestanden und dabei geholfen hatten, sich wieder irgendwie im Leben einzurichten.
Aber der Tod seiner Frau hatte nicht nur Auswirkungen auf Larzews Privatleben, sondern auch auf seine Arbeit. Wolodja war nicht mehr in der Lage, sich ganz und gar seinem Beruf zu widmen und vom frühen Morgen bis in die späte Nacht zu schuften, wie es früher der Fall gewesen war. Er musste sich jetzt allein um seine Tochter kümmern, was zahlreiche Sorgen und Probleme mit sich brachte. Tagsüber musste er Lebensmittel besorgen, zwischendurch schnell zu Hause nachschauen, ob alles in Ordnung war, abends verließ er so früh wie möglich das Büro, weil er die Hausaufgaben seiner Tochter kontrollieren und das Essen für den nächsten Tag vorbereiten musste. Die Kollegen hatten Mitgefühl mit Larzew und sahen ihm vieles nach, zumal nur der Umfang seiner Arbeitsleistung abgenommen hatte, nicht aber die Qualität. Doch Konstantin Michajlowitsch Olschanskij nahm sich alle Angelegenheiten seines Freundes sehr zu Herzen und reagierte sehr empfindlich auf alles, was auch nur den Anschein einer Missfallensbekundung gegenüber Wolodja hatte. Vom menschlichen Standpunkt war das alles gut verständlich, aber Nastja war es unangenehm, dass sie nun gezwungen war, die Weichen zu stellen.
»Das Gutachten für die Kassetten liegt noch nicht vor«, teilte Olschanskij Nastja mit, kaum hatte sie sein Büro betreten.
Nastja hatte nicht nur die letzte Kassette aus Kartaschows Anrufbeantworter mitgenommen, sondern auch die zwei vorhergehenden, und sie hatte den Untersuchungsführer gebeten, den Gutachter sowohl nach der unverständlichen Pause zu fragen als auch danach, ob auf der letzten Kassette eine Stimme zu hören war, die identisch war mit einer der Stimmen, die auf den ersten beiden Kassetten unter Nachricht vier, elf und achtundvierzig aufgezeichnet waren. Sie hatte beschlossen, Kartaschow überhaupt nichts mehr zu glauben. Es
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