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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Die Spannung, mit der Nastja diesem Abend entgegengesehen hatte, hatte sich schon sehr bald gelegt. Die Freundin ihres Stiefvaters hatte sich als reizende, sehr sympathische Frau erwiesen, die keinerlei Ähnlichkeit mit Nadeschda Rostislawowna, Nastjas Mutter, hatte. Ljoscha hatte sich nach Kräften bemüht, galant und scharfsinnig zu sein, was ihm auch voll und ganz gelungen war. Jedenfalls hatte er die neue Bekannte völlig verzaubert. Der Stiefvater war mit dem Verlauf des Abends ganz offensichtlich sehr zufrieden gewesen, er hatte seine Gäste mit einem köstlichen georgischen Knoblauchhähnchen bewirtet und sich keinerlei Familiaritäten oder plumpe Vertraulichkeiten in Bezug auf seine Bekannte erlaubt. Gegen Ende des Abends hatte Nastja sich beruhigt, aber ein undeutliches Schuldgefühl der Mutter gegenüber nagte auch jetzt noch an ihr.
    Sie griff zögernd zum Telefonhörer und wählte die lange Telefonnummer im fernen Schweden, wo es jetzt noch nicht so spät war wie in Moskau.
    »Nastja? Was ist passiert?«, fragte Nadeschda Rostislawowna beunruhigt.
    »Nichts ist passiert. Du hast nur schon sehr lange nicht mehr angerufen.«
    »Ist bei dir wirklich alles in Ordnung?«, fragte die Mutter noch einmal nach. Es war sehr ungewöhnlich, dass Nastja von sich aus bei ihr anrief, noch dazu um diese späte Stunde.
    »Es ist wirklich alles in Ordnung, Mama, mach dir keine Sorgen. Es geht mir gut.«
    »Und dein Stiefvater?«
    »Dem geht es auch gut. Ljoscha und ich waren heute Abend bei ihm. Er hat uns ein sehr leckeres georgisches Knoblauchhähnchen vorgesetzt.«
    »Sagst du auch die Wahrheit? Ist bei euch wirklich alles in Ordnung.«
    »Ja, wirklich. Muss denn erst etwas passieren, damit wir einander anrufen? Ich habe einfach Sehnsucht nach dir.«
    »Ich habe auch Sehnsucht nach dir, Töchterchen. Wie geht es dir mit der Arbeit?«
    »Wie immer. Am zwölften Dezember fliege ich mit einer Delegation von Kripobeamten nach Rom.«
    »Tatsächlich?«, rief die Mutter erfreut aus. »Das ist ja großartig. Herzlichen Glückwunsch. Wie war das, wann genau fliegst du?«
    »Am zwölften Dezember. Und am neunzehnten komme ich zurück.«
    »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?«, fragte Nadeschda Rostislawowna mit Enttäuschung in der Stimme. »Jetzt wird es mir wahrscheinlich nicht mehr gelingen, bis dahin ein Visum für Italien zu bekommen, aber ich werde es trotzdem versuchen. Vom dreizehnten bis siebzehnten Dezember bin ich auf einem Linguistik-Symposium in Frankreich, mein Vortrag ist für den fünfzehnten geplant, und wenn es mit dem Visum klappt, sehen wir uns in Rom. Wo kann ich dich dort finden?«
    »Das weiß ich nicht. Und wo kann ich dich finden?«
    »Ich weiß es auch nicht«, lachte die Mutter. »Lass es uns so machen. Wenn ich das Visum bekomme, treffen wir uns am sechzehnten um sieben Uhr abends auf dem Platz vorm Petersdom. Es ist ein großer, übersichtlicher Platz, dort können wir uns nicht verfehlen. Abgemacht?«
    Nastja war etwas überrascht von der Hartnäckigkeit ihrer Mutter.
    »Aber Mama, ich fliege doch nicht allein, sondern mit einer Gruppe von Kollegen. Woher soll ich wissen, was für ein Programm wir haben werden. Vielleicht werde ich am sechzehnten keine Zeit haben.«
    »Unsinn!«, sagte die Mutter entschieden. »Ich werde bis acht Uhr auf dich warten. Wenn du nicht kommst, warte ich am nächsten Tag wieder. Ich werde Zusehen, dass es mit dem Visum klappt, und hoffe, dich zu treffen, Töchterchen, hörst du?«
    »Gut, Mama.« Nastja schluckte krampfhaft. Ihre Mutter sollte nicht bemerken, dass sie weinte. »Ich werde da sein.«
    »Wie steht es mit der italienischen Sprache bei dir?«, fragte die Mutter streng. »Erinnerst du dich noch an etwas, oder hast du schon alles vergessen?«
    »Keine Sorge, dort kommt man auch mit Englisch zurecht.«
    »Nein, Kleines, so geht das nicht. Versprich mir, dass du bis dahin dein Italienisch auffrischst. Als Kind hast du die Sprache sehr gut gesprochen.«
    »Meine Kindheit ist längst vorbei, Mama. Ich arbeite von morgens bis abends und weiß nicht, ob ich die Zeit finden werde, mein Italienisch aufzufrischen. Sei mir bitte nicht böse.«
    »Ich bin dir nicht böse.« Nastja war sich sicher, dass ihre Mutter in diesem Moment lächelte. »Ich bin stolz auf dich, Nastjenka. Und hör auf zu weinen. Glaubst du etwa, ich höre nicht, wie du ständig die Nase hochziehst? Geh schlafen und ruiniere dein schmales Budget nicht mit Auslandstelefonaten. Du hast keinen

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