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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Grund, traurig zu sein. Denk dran, jeden Abend um sieben Uhr vor dem Petersdom. Umarme bitte deinen Stiefvater von mir, und Ljoscha auch.«
    Nastja ließ den Hörer langsam auf die Gabel sinken und bemerkte erst jetzt, dass Ljoscha unbeweglich in der offenen Küchentür stand.
    »Na? Ist dir jetzt wohler?«, fragte er lächelnd.
    »Habe ich dich geweckt?«, murmelte sie schuldbewusst. »Entschuldige bitte.«
    »Mein Gott, was bist du nur für ein Kind«, seufzte Tschistjakow.
    Sie blieben noch eine halbe Stunde in der warmen Küche sitzen, bis Nastja sich endgültig beruhigt hatte.

FÜNFTES KAPITEL
    Während der morgendlichen Einsatzbesprechung bei Gordejew beobachtete Nastja unauffällig ihre Kollegen und stellte sich immer wieder dieselbe Frage: Wer von ihnen ist es? Die einen kannte sie besser, die anderen schlechter, aber in keinem von ihnen konnte sie einen Betrüger und Verräter erblicken.
    Mischa Dozenko. Er war der Jüngste aus Gordejews Ermittlerteam, schwarzäugig, hoch gewachsen. Manchmal war er unbeschreiblich naiv und rührend, manchmal verblüffte er mit seinem nüchternen Blick und seiner Professionalität. Immer elegant und teuer gekleidet, gebügelt und geschniegelt. Wahrscheinlich gab er sein ganzes Gehalt für Kleidung aus. Aber war die Vorliebe für gute Kleidung etwa eine Sünde? Was konnte Mischas wunder Punkt sein? Geld? Ja, wahrscheinlich. Oder eine Frau. Obwohl er Junggeselle war und deshalb nicht erpressbar wegen einer Geliebten. Es sei denn, es würde sich um eine verheiratete Frau handeln.
    Jura Korotkow. Er lebte mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Schwiegermutter, die seit einem Schlaganfall bettlägerig war, in einer winzigen Zweizimmerwohnung. Er hatte viele Jahre auf der Warteliste für eine neue Wohnung gestanden, aber noch bevor er an die Reihe kam, wurde der staatliche Wohnungsbau eingestellt. Und sein Milizionärsgehalt würde nie im Leben für den Erwerb einer Eigentumswohnung reichen. Nastja war eng mit ihm befreundet, sie wusste immer über seine Affären Bescheid, über seine kleinen Siege und seine kleinen Tragödien. Seit anderthalb Jahren hatte Jura eine feste Beziehung zu einer Frau, die er als Zeugin in einem Mordfall kennen gelernt hatte. Er verliebte sich leicht, war schnell entflammbar und ebenso schnell wieder abgekühlt, aber mit dieser Beziehung hatte er seinen eigenen Rekord in Beständigkeit eingestellt. Seine Geliebte hatte zwei Söhne, und Jura hatte die feste Absicht, so lange zu warten, bis sie groß waren, um die Frau dann zu heiraten. Brauchte er Geld? Zweifellos, und er brauchte viel. Aber war er deshalb zum Verrat fähig?
    Kolja Selujanow. Einer der erfahrensten Ermittler in der Abteilung, ein Witzbold, ein Possenreißer, der gelegentlich zu groben Späßen neigte. Er konnte aber von einem Moment zum andern ernst werden und dem, der ihn brauchte, ganz uneigennützig zu Hilfe eilen. Kolja war geschieden, seine Frau hatte seinen schwierigen Charakter und seine unregelmäßigen Arbeitszeiten nicht ertragen, sie hatte die Kinder genommen und war mit ihrem neuen Mann nach Woronesh gezogen. Nastja wusste, dass Kolja manchmal während der Arbeitszeit heimlich nach Woronesh flog, um ein paar Stunden mit seinen Kindern zu verbringen und am selben Abend wiederzukommen. Danach betrank er sich jedes Mal und lief zwei, drei Tage lang düster und völlig niedergeschmettert herum. War es möglich, dass er, wenn er abwesend war, gar nicht nach Woronesh flog, sondern in diesen Zeiten irgendwelchen dunklen Machenschaften nachging?
    Igor Lesnikow. Ein ausgesprochen gut aussehender Mann, nach dem sich alle jüngeren Frauen der Petrowka 38 verzehrten. Aber Igor war verschlossen und immer sehr ernst, fast menschenscheu. Nastja wusste nichts über sein Privatleben, außer dass er zum zweiten Mal verheiratet und vor kurzem Vater geworden war. War vielleicht er das schwarze Schaf? Er war sehr ehrgeizig und karrierebewusst, machte ihn das vielleicht erpressbar?
    Nastjas freudlose Gedankengänge wurden von ihrem Chef unterbrochen.
    »Kamenskaja, ich spreche mit dir. Wach auf!«
    Nastja zuckte zusammen.
    »Ich höre Ihnen zu, Viktor Alexejewitsch.«
    »Ab heute bist du die Mentorin von Mestscherinow. Du kannst ihn unter deiner Anleitung für die Arbeit einteilen, er steht zu deiner Verfügung.«
    Vom anderen Ende des Raumes lächelte Nastja der breitschultrige, hellhaarige Student der Moskauer Polizeihochschule zu.
    Nach dem Ende der Besprechung nahm Nastja ihn mit in ihr

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