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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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beherrschte und über glänzende Zeugnisse verfügte, nicht für den Auslandsdienst geeignet war. Er war hier gut, in Moskau, in der sowjetischen Subkultur der Hauptstadt, aber im Ausland würde er versagen. Doch Mitjas Versuch, dem künftigen Chef des Kandidaten seine Einwände vorzutragen, stieß bei diesem auf massiven Widerstand. Ihm wurde erklärt, er sei nichts weiter als ein Aktenreiter, eine Null, er solle seine Papiere sortieren und die Nase nicht in operative Angelegenheiten stecken. Die Sache sei bereits entschieden, man warte nur noch auf die Bestätigung von oben. Diese Reaktion erschütterte den Inspektor der Personalabteilung. Die Kränkung saß von da an wie ein rostiger Nagel in seiner Brust.
    Einige Tage später wurde der für den Auslandsdienst vorgesehene Kandidat schwer betrunken aufgegriffen und in eine Ausnüchterungszelle gebracht. Er hatte keinen Dienstausweis bei sich, nur einen Aktenkoffer voller geheimer Unterlagen. Er wurde umgehend aus den Diensten des KGB entlassen und vor Gericht gestellt. Nie erfuhr jemand, dass alles so gekommen war, weil Mitja sich ein paar Abende lang mit medizinischer und pharmazeutischer Fachliteratur beschäftigt hatte, um anschließend die entsprechenden Leute anzuheuern und für ihre Dienste zu bezahlen. Er war sehr zufrieden damit, dass er einen Diensteinsatz verhindert hatte, den er selbst für falsch hielt. Es kam ihm keinen Augenblick in den Sinn, dass er das Leben eines Menschen verpfuscht hatte. Er empfand eine unerwartet heftige Genugtuung, weil schließlich alles doch noch so gekommen war, wie er es gewollt hatte. Es war sein erster Versuch, Menschen zu manipulieren, und es war ein erfolgreicher Versuch. Mitja begriff, dass es mitnichten nötig war, zu katzbuckeln oder mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, um zu beweisen, dass man im Recht war. Man konnte ganz anders vorgehen, sich schlaue Schachzüge ausdenken, an unsichtbaren Fäden ziehen und mit Genugtuung beobachten, wie die Dinge sich genau nach dem Szenario entwickelten, das man selbst entworfen hatte, während die Betroffenen glaubten, ihre Geschicke selbst zu lenken. Die Opfer hatten dabei keinerlei Bedeutung. Sie waren nur Schachfiguren im Spiel eines andern. In Mitjas Spiel.
    * * *
    Die Witwe von Valentin Petrowitsch Kosarj, der am fünfundzwanzigsten Oktober unter den Rädern eines unbekannten Autos ums Leben gekommen war, war eine schlanke, jugendlich wirkende Frau mit einem sehr sympathischen Gesicht und einer prächtigen kastanienbraunen Haarmähne. Sie empfing den Kripobeamten sehr freundlich, aber man sah ihr an, dass sie nur mit größter Mühe Haltung wahrte und das Gespräch ihr sehr schwer fiel.
    »Was hat das mit dem Verkehrsunfall meines Mannes zu tun?«, fragte sie verwundert, als sie auf die Ereignisse vom vergangenen Oktober angesprochen wurde.
    »Es hat nichts damit zu tun. Wir untersuchen nicht die Umstände dieses Verkehrsunfalls.«
    »Das habe ich mir gedacht«, seufzte die Frau. »Ich glaube, diese Umstände werden überhaupt nicht untersucht. Irgendein sang- und klangloser Kosarj, der niemanden etwas angeht. Wäre er Minister oder Abgeordneter gewesen, würde die Sache anders aussehen.«
    »Ich verstehe Ihren Unmut, aber glauben Sie mir, Sie haben Unrecht. Mit dem Verkehrsunfall befasst sich die Dienststelle im südwestlichen Bezirk, aber ich arbeite bei der Hauptverwaltung der Moskauer Kripo, in der Petrowka, und wir versuchen, ein ganz anderes Verbrechen aufzuklären.«
    »Was hat mein Mann Valentin damit zu tun? Er war ein durch und durch ehrlicher Mensch, der nie einer Fliege etwas zuleide getan hat.«
    Die Frau begann zu weinen, aber sie fasste sich schnell wieder.
    »Ist gut. Fragen Sie.«
    »Zwischen dem zehnten und zwölften Oktober hat sich ein gewisser Boris Kartaschow an Ihren Mann gewandt und darum gebeten, ihm eine Konsultation bei einem Psychiater zu vermitteln. Hat Ihr Mann Ihnen etwas davon erzählt?«
    »Ja, ich kann mich erinnern, dass er davon erzählt hat. Er hat mir gleich nach diesem Telefonat gesagt, dass er versuchen wolle, Maslennikow zu erreichen, und wenn ihm das nicht gelingen sollte, würde er es bei Golubjow probieren, einem anderen Arzt, mit dem er bekannt war.«
    »Hat Ihr Mann Ihnen gesagt, um welches Problem es sich bei Kartaschow handelte?«
    »Ja, er hat es mir gesagt. Kartaschows Freundin litt angeblich unter der fixen Idee, dass jemand versuchen würde, sie über das Radio zu beeinflussen. Nein, ich glaube, es war anders . . .

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