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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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sterben muss.«
    »Ich werde dich herausholen, Vater, mach dir keine Sorgen. Sobald die Wahlen vorüber sind und diese ganze Hektik sich gelegt hat, nehme ich dich mit.«
    »Hoffentlich bald, sonst erlebe ich es nicht mehr . . .«
    Der Greis schloss die Augen. Eine Träne lief ihm über die Wange und versickerte in der faltigen Haut.
    »Vater, erinnerst du dich an das Jahr neunzehnhundertsiebzig?«
    »Neunzehnhundertsiebzig? Du meinst das Jahr, in dem du . . .«
    »Ja, ja«, unterbrach der Mann ihn ungeduldig. »Erinnerst du dich?«
    »Natürlich. So etwas vergisst man nicht. Warum fragst du? Hast du Schwierigkeiten?«
    »Nein, nein, mach dir keine Sorgen. Diese Sache ist längst begraben. Aber trotzdem. . . Meinst du, es gibt noch jemanden, der sich daran erinnert?«
    »Dein Freund, mit dem du damals . . .«
    »Das ist klar«, unterbrach der Mann den Alten erneut. »Könnte es sonst noch jemanden geben?«
    »Ich weiß nicht. Batyrjow ist längst gestorben. Smeljakow? Der erinnert sich vielleicht noch, aber er weiß nicht, wie das alles zusammenhängt. Außer mir weiß es wahrscheinlich niemand. Warum fragst du?«
    »Nur so, für alle Fälle. Du weißt ja, wenn meine Partei genug Stimmen bekommt und ich in die Duma gewählt werde, werden sich bestimmt Leute finden, die gern in alten Geschichten herumwühlen.«
    »Hast du Feinde, Söhnchen?«
    »Wer hat heutzutage keine Feinde?«
    »Ich habe Angst um dich, Söhnchen. Du solltest dich in Acht nehmen vor diesen Hyänen, sonst wirst du gefressen.«
    »Du brauchst keine Angst zu haben, Vater, ich schaffe es schon. Jetzt muss ich wieder gehen.«
    »Verlass mich nicht, Söhnchen, komm bald wieder, ja? Ich habe auf der Welt niemanden mehr außer dir. Deine Mutter ist gestorben, meine Frau auch . . .«
    »Übertreibe es nicht, Vater. Du hast außer mir noch eine Tochter und einen Sohn. Du bist selbst schuld, dass sie zu solchen Kreaturen geworden sind. Du hast alles für sie getan, was du nur konntest, und jetzt, im Alter, haben sie dich verlassen.«
    »Sprich nicht so, Söhnchen, das darfst du nicht. . .« Die Stimme des Greises war kaum noch zu hören. »Ich habe auch für dich einiges getan, erinnere dich.«
    »Ich erinnere mich«, antwortete der Sohn mit harter Stimme. »Darum besuche ich dich ja auch. Also, Vater, halte durch, spätestens in einem Monat hole ich dich hier raus.«
    »Leb wohl, Söhnchen.«

SECHSTES KAPITEL
    Nastja versuchte, eine Gleichung aufzustellen. Boris Kartaschow und seine Geliebte Olga Kolobowa als diejenigen, die Vika Jeremina hatten loswerden wollen. Die mysteriöse Nachricht auf Kartaschows Anrufbeantworter, die gelöscht wurde. Wassja Kolobow, der von einer Prügelei berichtet hatte und inzwischen glattweg leugnete, jemals so etwas gesagt zu haben. Konnte man das alles tatsächlich in einer Gleichung unterbringen, ohne dass Widersprüche entstanden? Nastja Kamenskaja, Andrej Tschernyschew, Jewgenij Morozow und der Praktikant Oleg Mestscherinow ermittelten ins Blaue. Mischa Dozenko hatte alles getan, was er konnte, er hatte eine Vielzahl von Personen befragt, aber keinerlei Indizien dafür gefunden, dass Kartaschow und die Kolobowa in den Mordfall verwickelt waren. Allerdings gab es auch keine Beweise für ihre Unschuld. Es war ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen, so lange Zeit nach Vikas Verschwinden irgendwelchen Alibis hinterherzujagen, zumal es sich um Alibis für eine ganze Woche handeln musste. Wo bist du in dieser Woche nur gewesen, Vika Jeremina, bevor man dich erwürgt hat?, fragte sich Nastja. Und warum hat man auf deinem Körper Spuren entdeckt, die von Schlägen mit einem dicken Strick stammen? Hat man dich misshandelt, gequält? Wahrscheinlich warst du wirklich krank und bist irgendeinem Unhold in die Hände gefallen, der deinen Zustand ausgenutzt und dich danach umgebracht hat. Unklar ist nur, warum dieser Anruf auf Kartaschows Band gelöscht wurde. . .
    Nastja ließ ihre Gedanken schweifen, während sie in der Raucherzone der Maschine nach Rom saß. Als Einzige aus der Delegation hatte sie beim Einchecken um einen Platz für Raucher gebeten, und jetzt war sie froh darüber. Hier saßen nur sehr wenige Passagiere, sie musste sich nicht mit ihren Kollegen unterhalten und hatte dreieinhalb Stunden Zeit zum Nachdenken.
    Also, Wassja Kolobow. Beim zweiten Gespräch hatte er kategorisch bestritten, verprügelt worden zu sein, er gab an, er sei betrunken gewesen und die Treppe hinuntergefallen. Seine Frau hingegen behauptete ebenso

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