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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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meiner Mutter treffen. Sie kommt am Donnerstag nach Rom.«
    »Kein Problem. Nach sechs kannst du tun, was du willst, ich habe keinerlei Einwände. Für alle Fälle solltest du aber wissen, dass zwei Leute aus unserer Delegation bereits Wind von deinen Fremdsprachenkenntnissen bekommen haben und dich kraft ihres höheren Dienstgrades als Dolmetscherin für ihre Einkaufsangelegenheiten einspannen wollen. Wenn du also Zeit für dich selbst brauchst, sag mir Bescheid, dann versuche ich, die beiden zu bremsen.«
    Jakimow drückte seine Zigarette aus und ging wieder zurück in den vorderen Teil der Maschine, wo die anderen Mitglieder der Delegation saßen. Zwei Generäle (einer aus dem Ministerium, einer aus der Hauptverwaltung für Innere Angelegenheiten), der Leiter einer Bezirksverwaltung für Innere Angelegenheiten und zwei Mitarbeiter aus der Hauptverwaltung der Moskauer Kripo.
    »Ich hätte nie gedacht, dass Sie Russin sind. Ich habe Sie für eine Engländerin gehalten«, sagte der junge Mann in dem weißen Pullover.
    Nastja musste innerlich grinsen. Es war kein Wunder, dass er sie für eine Engländerin gehalten hatte. Mager, hellblond und unscheinbar, wie sie war, mit ihrem schmalen Gesicht, das aufgrund seiner Ausdruckslosigkeit wahrscheinlich kalt wirkte, glich sie wohl in der Tat einer typischen alten Jungfer aus einem klassischen englischen Roman. Jedenfalls hatte sie in ihrem Äußeren nichts gemeinsam mit jener vollblütigen russischen Schönheit, wie man sie sich gemeinhin vorstellte.
    »Wollen Sie damit sagen, dass ich aussehe wie eine Engländerin?«
    »Nein, Sie sprechen Italienisch mit englischem Akzent.«
    »Tatsächlich?«, wunderte sich Nastja. »Darauf wäre ich nie gekommen.«
    Sie achtete genauer auf die Aussprache ihres Gesprächspartners und versuchte, so zu sprechen wie er. Sie hatte ein ausgezeichnetes Gehör, ihre Mutter hatte sie seit früher Kindheit zum Lernen von Fremdsprachen angehalten, deshalb hatte sie ihren englischen Akzent pünktlich zur Landung in Rom abgelegt. Der junge Italiener lobte Nastjas sprachliche Fortschritte und sagte zum Abschied:
    »Jetzt sprechen Sie wie eine Italienerin, die lange in Frankreich gelebt hat.«
    Sie brachen in freundschaftliches Gelächter aus.
    »Habe ich jetzt einen französischen Akzent?«
    »Nein, Sie haben keinen Akzent mehr. Aber jetzt sprechen Sie Italienisch mit französischem Satzbau.«
    * * *
    Man hatte sie in einem kleinen, ruhigen katholischen Hotel untergebracht, das auf einem Hügel unweit der Russischen Botschaft stand. Zu Nastjas Freude waren es von hier nur zwanzig Minuten Fußweg bis zum Petersdom.
    Jakimow hatte Recht gehabt. Um sechs Uhr endete hier der Arbeitstag, und von da an wurde die russische Delegation sich selbst überlassen. Von russischer Gastfreundschaft war hier nichts zu bemerken. Mehr als eine Stadtrundfahrt und ein Lunch mit Vertretern des Ministeriums war innerhalb dieser Woche nicht vorgesehen. Man machte die russische Delegation mit der Arbeit der einzelnen Polizeidienststellen und deren Abteilungen bekannt, beantwortete ihre Fragen und führte den Gästen Lehrfilme vor. Von irgendwelchen gemeinsamen Unternehmungen nach Arbeitsschluss war nicht die Rede.
    Nastja war das sehr recht. Nach dem Abendessen, das im Hotel eingenommen wurde, tauschte sie ihren Rock gegen eine Jeans aus, schlüpfte in ihre geliebten Turnschuhe, warf sich eine Lederjacke über und ging, mit einem Stadtführer in der Jackentasche, durch die Straßen. Am Mittwoch, als sie ihren freien Tag hatten, verließ sie das Hotel gleich nach dem Frühstück, das um halb acht Uhr serviert wurde. Außer Jakimow hatte sie niemandem etwas von ihrer Absicht verraten, und es war ihr gelungen, sich unbemerkt aus dem Hotel davonzustehlen, noch bevor jemand dazu gekommen war, sie als Dolmetscherin für seine Einkaufsvorhaben einzuspannen. Nastja ging den ganzen Tag durch die Stadt, immer wieder erstaunt über die Freundlichkeit und Zuvorkommenheit der Autofahrer, während sie sich durch das Gebrodel der Autos in den Straßen schlängelte. Trotz der wärmenden Dezembersonne und einer Temperatur von siebzehn Grad gingen viele Frauen in legeren, aufgeknöpften Mänteln aus Nerz oder Fuchspelz.
    Auf Schritt und Tritt verfolgte Nastja der frische Kaffeeduft aus den zahllosen kleinen Cafes und Bars. Während der ersten zwei Stunden beherrschte sie sich noch, aber dann sagte sie sich, dass sie ihren Beinen früher oder später sowieso etwas Ruhe gönnen musste und dass

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