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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Radiostationen, die in russischer Sprache sendeten, brachten Ausschnitte aus literarischen Neuerscheinungen. Insofern war Vikas Behauptung, dass jemand versuchte, sie über das Radio zu beeinflussen, keineswegs die Ausgeburt einer kranken Phantasie. Aber wie kam die völlige Übereinstimmung der beiden Zeichnungen zustande? Sie waren bis ins Detail identisch, selbst das Hellgrün des Violinschlüssels stimmte überein.
    Es gab natürlich eine ganz einfache Erklärung dafür: Vika hört im Radio einen Textauszug aus der »Todessonate« – Nastja konnte sich sogar vorstellen, um welche Stelle es sich handelte –, danach gibt sie das, was sie gehört hat, in allen Einzelheiten Boris wieder, und dieser fertigt nach ihren Angaben eine genaue Zeichnung an. Vielleicht hatte dieses Bild in Wahrheit nur eine entfernte Ähnlichkeit mit Vikas Albtraum, vielleicht war in ihrer Vorstellung etwas verrutscht, sodass sie sich eingebildet hatte, dass. . . Aber das legte wiederum den Verdacht nahe, dass Vika doch an einer psychischen Störung litt. Nein, wieder passte nichts zusammen, wieder steckte Nastja in einer Sackgasse.

SIEBTES KAPITEL
    »Wir müssen wieder ganz von vorn anfangen«, sagte Nastja deprimiert, während sie Tschernyschew, Morozow und den Praktikanten Mestscherinow ansah.
    »Zum fünften Mal?«, fragte Andrej sarkastisch, schlug die Beine übereinander und machte es sich bequem auf seinem Platz.
    Sie saßen bei Nastja in der Wohnung. Es war Sonntagabend, sie hatte sofort nach ihrer Rückkehr ihre Kollegen angerufen und sie dringend gebeten, bei ihr vorbeizukommen. Im Flur stand noch ihre unausgepackte Reisetasche, man musste über sie hinwegsteigen, um in die Küche zu gelangen. Aus irgendeinem Grund war bisher niemand auf die Idee gekommen, sie zur Seite zu stellen.
    »Ja, zum fünften Mal«, erwiderte Nastja scharf. »Wir werden zweigleisig fahren, und ich glaube, dass wir diesmal etwas herausfinden werden. Oleg, Sie fahren morgen früh ins Archiv und suchen die Mordanklage gegen die Mutter von Vika heraus. Andrej und Jewgenij beginnen mit den Recherchen in der Verlagsszene, ausgehend von Valentin Kosarjs Kontakten.«
    »Und worin wird deine Aufgabe bestehen? In der Leitung der Ermittlungen?«, fragte Morozow gereizt. Er machte nicht einmal den Versuch, seinen Ärger darüber zu verbergen, dass man ihn am Sonntagabend von zu Hause weggeholt hatte.
    Nastja verstand seinen Ärger und beschloss, nicht auf die kleinliche Provokation einzugehen.
    »Ich werde Brisacs unsterbliche Werke lesen«, entgegnete sie ruhig, »weil keiner von euch das tun kann. Bist du damit zufrieden?«
    »Ich habe morgen andere Pläne«, protestierte Morozow erneut. »Glaubst du etwa, ich habe nichts anderes zu tun, als mich mit diesem lausigen Mordfall zu beschäftigen? Ihr in der Petrowka haltet euch für die Elite der Miliz und stürzt euch alle gemeinsam auf einen einzigen Fall, während die restlichen neunundneunzig an uns hängen bleiben.«
    »Lass es gut sein, Jewgenij«, lenkte Tschernyschew ein. »Es ist nun einmal ein Beschluss von oben, dass wir eine Arbeitsgruppe mit Anastasija bilden. Dagegen kann man nichts machen. Also hör auf, dich aufzuregen.«
    »Aber ich kann morgen wirklich nicht.«
    Morozow war ganz offensichtlich nervös, und einen Moment lang tat er Nastja fast Leid. Es konnte ja tatsächlich sein, dass er morgen wichtige Termine hatte, die er nicht absagen konnte und von denen vielleicht viel für ihn abhing, dienstlich oder sogar privat.
    »Nun gut«, seufzte sie, »wenn du nicht kannst, dann kannst du eben nicht. Dann fängst du am Dienstag an. Einverstanden?«
    Morozow nickte erleichtert und wurde sofort fröhlicher.
    »Darf ich, anstatt ins Archiv zu fahren, mit Andrej arbeiten?«, fragte der Praktikant, der bisher schweigend im Sessel in der Ecke gesessen hatte, wo es schrecklich kalt war, weil durch die Ritzen der Balkontür ständig eisige Zugluft ins Zimmer strömte.
    »Nein«, lehnte Nastja kategorisch ab. »Sie fahren ins Archiv.«
    »Bitte, Anastasija Pawlowna«, bettelte Oleg. »Was kann ich im Archiv schon lernen. Ich möchte praktische Arbeit machen . . .«
    »Sie werden lernen, Strafsachen zu lesen«, sagte sie hart und unterdrückte ihre zunehmende Gereiztheit. »Wenn Sie glauben, dass das einfach ist, dann irren Sie sich gewaltig. Haben Sie schon einmal eine Strafsache gesehen, die einem Gericht vorgelegt wurde?«
    Mestscherinow schwieg düster.
    »Eine Akte, die dem Gericht übergeben wird, ist

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