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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Am anderen Ende wurde nicht abgenommen. Onkel Kolja wartete sieben Klingelzeichen ab und legte auf. Dann wählte er die Nummer erneut, ließ es fünf Mal klingeln und wählte wieder. Drei weitere Klingelzeichen. Ende. Die Kombination aus sieben, fünf und drei Klingelzeichen besagte, dass es nicht geklappt hatte, dass es zu Schwierigkeiten kommen konnte, aber dringende Maßnahmen im Moment nicht ergriffen werden mussten.
    Er löschte überall sorgfältig das Licht, schloss ab und machte sich auf den Heimweg.
    * * *
    Nachdem der Mann im Rollstuhl das Läuten des Telefons vernommen hatte, nahm er einen Stift und notierte die Daten. Telefonnummer, Uhrzeit und Anzahl der Klingelzeichen. Bald würde das Telefon erneut läuten, zuerst würden sechs Klingelzeichen ertönen, dann drei und zuletzt elf. Erst beim vierten Anruf durfte er abnehmen. Es war ihm kategorisch verboten, auf andere Anrufe zu antworten. Der Mann im Rollstuhl hielt sich akribisch an die Anweisungen, denn er wusste, wie wichtig und verantwortungsvoll die Aufgabe war, die er zu erfüllen hatte.
    Er war dreiunddreißig Jahre alt und saß bereits seit fast zehn Jahren im Rollstuhl. Sein Leben lang hatte er sich für Technik begeistert, besonders für Funkgeräte und Mikrochips. Er hatte die Hochschule für Rundfunktechnik absolviert und sich einen alten Traum erfüllt. Er ließ sich an der technischen Fakultät der KGB-Hochschule immatrikulieren, aber er schaffte es nicht mehr, das Studium anzutreten. Er erlitt einen Verkehrsunfall, bei dem seine Eltern und seine Großmutter ums Leben kamen, nur er allein überlebte. Seitdem gab es für ihn nur noch Einsamkeit, den Rollstuhl und zwei Krücken, auf denen er sich mit großer Mühe durch seine Wohnung schleppte.
    Der Unfall hatte in einem einzigen Augenblick sein ganzes Leben verändert, aber nach und nach erholte er sich von dem Schock, er versuchte, sich wieder in die Hand zu bekommen und zu seiner alten Beschäftigung mit den Mikrochips zurückzukehren. Schon von Kindheit an las er gern Spionageromane und dachte sich alle möglichen technischen Raffinessen aus. Er hatte den großen Wunsch, sich nützlich zu machen, der Sicherheit seines Vaterlandes zu dienen, und eines Tages überwand er seine Scheu und schrieb an den KGB. In seinem Brief bot er an, den einschlägigen Spezialisten seine Erfindungen zu zeigen. Deshalb wunderte er sich nicht im Geringsten, als eines Tages ein Mann aus dem Komitee bei ihm erschien und ihm anbot, für das Wohl der Heimat tätig zu werden.
    »Sie sind, wie es scheint, ein sehr gewissenhafter und korrekter Mensch«, schmeichelte ihm der Besucher, »und genau solche Leute brauchen wir beim Abwehrdienst. Sie wissen ja selbst, wie viele Feinde unser Land hat und wie viele labile Bürger von ausländischen Spionagediensten für deren Zwecke angeworben werden. Um unsere Heimat zu schützen, werden alle diese Leute von uns überwacht. Und damit unsere Mitarbeiter gefahrlos ihrer Tätigkeit nachgehen und dabei unerkannt bleiben können, müssen wir ein zuverlässiges Netz kontaktloser Verbindungen schaffen. Verstehen Sie mich?«
    Natürlich verstand er. Er hatte eine ganze Tonne Bücher über den Alltag des Abwehrdienstes und seinen Kampf gegen die Staatsfeinde gelesen. Und natürlich versprach er dem Mann mit Freuden seine Unterstützung in diesem Kampf.
    Die Aufgaben, die er zu erfüllen hatte, waren sehr einfach, verlangten aber sehr viel Aufmerksamkeit und Genauigkeit. Er musste die Uhrzeit der eingehenden Anrufe notieren, die Anzahl der Klingelzeichen und die Telefonnummern, die auf dem Display erschienen. Das war alles. Zu einer genau vereinbarten Zeit und unter einem Code ebenso genau festgelegter Klingelzeichen rief ihn sein Verbindungsmann an, und er musste Bericht erstatten.
    Die Bedingung dieser gut bezahlten Arbeit für das Wohl des Vaterlandes bestand darin, dass der behinderte Mann keinerlei Verbindungen zur Außenwelt aufnehmen durfte. Die Mitarbeiter seines Verbindungsmannes versorgten ihn täglich mit Lebensmitteln, mit Medikamenten und allem anderen, was er zum Leben brauchte. Wenn er Probleme mit seiner Gesundheit hatte, schickte der Verbindungsmann ihm seinen eigenen Arzt. Wenn er etwas brauchte, genügte ein einziges Wort, und das Gewünschte wurde ihm sofort in bester Qualität in die Wohnung geliefert. Man brachte ihm jede gewünschte Lektüre ins Haus, ob schöngeistige Literatur oder Fachbücher, er bekam Werkzeuge, Geräte, Materialien, alles, was er brauchte,

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