Der gestohlene Traum
gehalten werden sollten. O mein Gott, dachte Nastja deprimiert, habe ich schon wieder auf das falsche Pferd gesetzt? Habe ich mich schon wieder getäuscht?
. . . Ljoscha wurde sofort wach, als das Telefon läutete, und sah Nastja fragend an. Sie schüttelte den Kopf und richtete sich im Bett auf.
»Hallo?«, sagte Ljoscha mit schlaftrunkener Stimme.
»Bitte verzeihen Sie, dass ich so spät anrufe«, meldete sich eine angenehme Baritonstimme im Hörer, »aber ich muss dringend mit Anastasija Pawlowna sprechen.«
»Sie schläft.«
»Bitte wecken Sie sie. Es ist wirklich sehr dringend.«
»Das kann ich leider nicht tun. Sie hat ein Schlafmittel eingenommen und will nicht gestört werden.«
»Ich versichere Ihnen, dass es sehr wichtig für sie ist. Sie wartet auf meinen Anruf und wird sehr verärgert sein, wenn sie erfährt, dass ich angerufen habe und man sie nicht ans Telefon geholt hat. Es geht um ihre Arbeit.«
Tschistjakow blieb eisern. Vielleicht war er tatsächlich so naiv und vertrauensselig, wie Nastja glaubte, aber er ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
Nastja knipste die Nachttischlampe an, griff nach ihrer Handtasche, entnahm ihr den Passierschein für die Poliklinik und hielt ihn Ljoscha vor die Nase. Er hatte sofort verstanden und nickte.
»Hören Sie«, sagte er so zerknirscht wie möglich, »es geht ihr im Moment nicht gut. Sie hat alle möglichen Unannehmlichkeiten, kann schon seit einigen Nächten nicht mehr schlafen und fühlt sich insgesamt sehr angegriffen. Morgen muss sie zum Gesundheitscheck in die Poliklinik und möchte dort nicht in geschwächtem Zustand erscheinen, das werden Sie verstehen, denn immerhin ist sie ja im Offiziersrang. Deshalb hat sie drei Schlaftabletten eingenommen und sich früh hingelegt, um sich auszuschlafen und morgen fit zu sein. Selbst wenn es mir gelingen würde, sie aufzuwecken, würde sie jetzt nicht in der Lage sein, ein Telefonat zu führen.«
»Das ist sehr schade«, sagte der Anrufer mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme. »Dann werde ich morgen wieder anrufen. Gute Nacht.«
Nastja stand mitten im Zimmer, eingewickelt in einen warmen Morgenmantel. Ihr bleiches Gesicht wirkte leblos im matten Licht.
»Waren sie das?«, fragte Tschistjakow.
Sie nickte wortlos.
»Warum sprichst du nicht mit ihnen? In diesem Fall spielt es doch keine Rolle, dass dein Telefon abgehört wird, denn schließlich sind sie selbst diejenigen, die es abhören.«
»Ich mag es nicht, wenn man mir Angst einjagen will. Ich habe schon genug Angst und will mir keine neuen Drohungen anhören.«
»Irgendetwas verstehe ich nicht, Nastjenka. Was führst du im Schilde? Warum weichst du ihnen aus und steckst deinen Kopf in den Sand?«
»Ich führe gar nichts im Schilde. Sie wollen mich verunsichern, und sie sollen ruhig glauben, dass ihnen das gelungen ist, dass ich vor Angst vergehe und deshalb dem Nervenzusammenbruch nahe bin. Was sollten sie mir Neues sagen? Dass sie das Auto meines Stiefvaters in die Luft jagen wollen? Ich habe keine Lust, mir das anzuhören. Sie werden ihre Drohungen erst dann wahr machen, wenn ich es ablehne, ihre Forderungen zu erfüllen, vorher ergibt das keinen Sinn. Und deshalb gebe ich ihnen keine Möglichkeit, ihre Forderungen auszusprechen.«
»Ich finde, das ist nicht besonders klug«, wandte Ljoscha ein. »Sie können dich jederzeit auf der Straße abfangen. Und was wirst du dann sagen? Dass du gerade schläfst oder bei den Nachbarn bist?«
»Ich glaube nicht, dass sie mich auf der Straße ansprechen würden, das ist zu gefährlich für sie. Auf diese Weise würden sie sich zu erkennen geben, das wissen sie genau. Das Einzige, was keine Spuren hinterlässt, ist ein Telefonanruf. Und sie rufen absichtlich nachts an, weil sie wissen, dass es nachts unheimlicher ist. Und natürlich benutzen sie eine Telefonzelle, denn ich könnte ja ein Display haben, auf dem die Nummer des Anrufers erscheint. Zudem könnte eine Fangschaltung eingerichtet sein, weil ich trotz ihrer Drohungen meinem Chef Bescheid gesagt habe, und in diesem Fall würde es keine drei Minuten dauern, bis man sie hätte.«
»Sag mal, hast du wirklich keine Angst vor ihnen?«
»Und ob ich Angst habe«, sagte Nastja mit einem bitteren Lächeln. »Ein Mensch mit einem gesunden Selbsterhaltungstrieb hat immer Angst. Und ich bin, wie du weißt, sowieso ein Feigling. Sie bitte so nett und lösche das Licht.«
»Warum?«
»Weil sie vielleicht unten vor dem Haus stehen. Und ich schlafe doch
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