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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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angeblich.«
    »Du schläfst, aber mich haben sie schließlich geweckt«, entrüstete sich Ljoscha.
    »Sei friedlich, mein Schatz«, sagte Nastja müde. »Unterhalten können wir uns auch in der Dunkelheit.«
    Sie legte sich wieder ins Bett, rollte sich zu einem Knäuel zusammen und presste sich an Ljoschas Schulter. Er streichelte ihren Kopf und ihren Rücken, wiegte und beruhigte sie, erzählte etwas mit leiser Stimme. Endlich, gegen Morgen, gelang es ihr einzuschlummern.
    * * *
    Der sportliche, drahtige Onkel Kolja sah den jungen Mann mit dem Igelhaarschnitt nachsichtig an und zeigte beim Lächeln seine blinkenden Goldzähne.
    »Mach dir nichts draus, Sascha, es war nicht deine Schuld. So etwas kommt vor.«
    Er goss sich ein Glas Mineralwasser ein und trank es in einem Zug aus. Sascha war wirklich nicht schuld an dem, was geschehen war. Schuld war Arsenn, dieser alte Knickstiefel, der seinen Leuten blind vertraute und nicht auf die Idee kam, die Informationen zu überprüfen, die sie ihm lieferten. Der Plan war gescheitert, man musste sich etwas Neues überlegen. Vielleicht konnte man irgendeine scharfe Braut auf Kartaschow ansetzen, die sich ein bisschen in seiner Bude umsehen würde. Der Junge hatte ja wohl ohnehin eine Schwäche für das weibliche Geschlecht. Kaum war die eine unter der Erde, war es schon wieder so weit, dass er es nötig hatte, sich vor der nächsten zu verstecken. Er konnte einem wirklich Leid tun, der untröstliche Witwer.
    »Wenn du wüsstest, was es mich gekostet hat, ihn nicht durchzuwalken«, sagte Sascha mit einem so schmerzvollen Seufzer, dass Onkel Kolja sich das Lachen nicht verkneifen konnte.
    »Du hast es sehr gut gemacht, Sascha«, sagte er wohlwollend, »du musstest ihn davon überzeugen, dass du ein harmloser, unerfahrener Einbrecher bist. Deshalb durftest du nicht Zurückschlagen.«
    »Ja, ich weiß«, stöhnte Sascha erneut auf. »Aber wenn du wüsstest, wie der auf mich eingedroschen hat. Muss ein Profi sein, der Schweinehund, er weiß genau, wo die empfindlichen Stellen sind. Ich hätte fast das Bewusstsein verloren.«
    »Dann war es erst recht wichtig, dass du dich zurückgehalten hast. Denn wenn er wirklich ein Profi ist, hätte er sofort gemerkt, dass du auch einer bist. Hör auf zu jammern. Ich muss mich über euch alle wundern. Ihr seid ausgebildete Kampfsportler und dabei verweichlicht wie Bestushew-Fräuleins.«
    »Was für Fräuleins?«
    »Du bist ein Finsterling, Sascha«, seufzte Onkel Kolja. »Weißt du überhaupt, was Buchstaben sind?«
    »Wovon sprichst du?«
    »Vom Alphabet. Wann hast du zum letzten Mal ein Buch in der Hand gehabt?«
    »Hör auf, dich über mich lustig zu machen. Es ist alles sowieso schon zum Kotzen.«
    »Zum Kotzen?« Onkel Kolja hob die Stimme und presste seine Handflächen auf den Tisch. »Du lieber Gott, was für Empfindlichkeiten! Man hat ihn verprügelt, und er durfte sich nicht revanchieren! Reiß dich gefälligst am Riemen. Du machst deine Arbeit und bekommst Geld dafür. Wenn es dir nicht passt – bitte sehr, du kannst jederzeit gehen. Nur denk dran, dass dich dann niemand mehr decken wird. Hast du vergessen, wie viele Leichen auf dein Konto gehen? Solange wir an unseren Boss angebunden sind, kannst du ruhig schlafen. Aber wenn du gehst, sind deine Tage gezählt. Du musst also wählen.«
    »Ich habe doch längst gewählt‘. . .«
    »Dann hör auf, dich zu beklagen und zu jammern.«
    »Es ist einfach schade drum. Ich gehe jeden Tag ins Studio, hebe und stemme stundenlang, und wofür das alles? Um mich von jedem nächstbesten Stümper grün und blau schlagen zu lassen?«
    »An Eigenliebe fehlt es dir nicht, aber dafür an Verstand, mein Lieber. Sieh dir Slawik an: ein erfahrener Rennfahrer, ein Champion, und jetzt geht er schön brav zu Fuß, weil man ihm vorübergehend das Autofahren verboten hat. Er jammert nicht, weil er weiß, dass es um die Sache geht. Daran solltest du dir ein Beispiel nehmen.«
    »Schon gut, schon gut. Ich habe verstanden.«
    »Das hört man gern«, sagte Onkel Kolja erleichtert.
    Nachdem er den Jungen entlassen hatte, blieb er noch lange in dem kleinen Zimmer hinter dem Trainingsraum sitzen. Es war fast halb elf. In ein paar Minuten konnte er anrufen. Onkel Kolja zog den Telefonapparat zu sich heran, nahm den Hörer ab und begann langsam zu wählen. Nachdem er die Wählscheibe zum letzten Mal gedreht hatte, hielt er sie so lange mit dem Finger fest, bis die elektronische Uhr 22.27 anzeigte. Dann ließ er los.

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