Der gewagte Antrag
er Stuart Aisgill am Schreibtisch an, die aufgeschlagenen Rechnungsbücher vor sich, offensichtlich befasst mit der Eintragung der Löhne, der Ausgaben für das Pferdefutter und den sonstigen im Gestüt anfallenden Kosten.
“Ja, was gibt es?”, erkundigte Stuart sich irritiert.
Chad schaute ihn an. Mr. Aisgill war stets freundlich zu ihm gewesen, auch wenn er, wie bei allen anderen ihm unterstellten Angestellten, streng auf Ordnung achtete. Irgendwie erinnerte er ihn an jemanden, dem Chad einmal Befehle erteilt hatte, die dieser, wie er sich zu entsinnen meinte, zur allgemeinen Zufriedenheit ausgeführt hatte. Auch diesmal war er hergekommen, um sich nützlich zu machen, und beschloss, ungeachtet des von Mr. Aisgill angeschlagenen gereizten Tones, seinen Vorschlag vorzutragen.
“Sir, ich habe mein Erinnerungsvermögen etwas zurückgewonnen”, sagte er fest. “Nicht viel, aber für Sie könnte es hilfreich sein.” Er hielt inne, weil ihm plötzlich in den Sinn kam, dass er zwar in seinem früheren Leben anderen Männern Order gegeben hatte, die bereitwillig befolgt worden waren, er in Campions jedoch nur ein Untergebener war, der seine Grenzen nicht überschreiten durfte.
“Wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, dann sprechen Sie!”, erwiderte Stuart mürrisch. “Meine Zeit ist kostbar.”
Chad missachtete jede Vorsicht und erklärte: “Ich entsinne mich, dass ich in der Lage bin, die Bücher und Korrespondenz zu führen. Wenn Sie möchten, gehe ich Ihnen gern zur Hand. Mir ist bekannt, dass Mr. Henson Sie ständig der Abrechnungen wegen unter Druck setzt. Wenn Sie mich beschäftigen, kann er das nicht mehr.”
Stuart hatte das Bedürfnis, Newcome in die Schranken zu weisen, doch etwas an der unterwürfigen Art des Reitknechtes, die ganz und gar nicht seinem Wesen zu entsprechen schien, sondern eher auf echte Hilfsbereitschaft schließen ließ, bewog ihn, die ihm auf der Zunge liegende scharfe Bemerkung nicht zu äußern. “Ich habe Sie mit Myladys Erlaubnis bei uns eingestellt”, erwiderte er bedächtig, “weil wir der Ansicht waren, Sie könnten uns dienlich sein. Sie haben sich tatsächlich als gute Arbeitskraft erwiesen. Mehr noch, Ihr Geschick im Umgang mit Pferden ist außerordentlich groß. Wenn Sie überzeugt sind, mich auch auf andere Weise unterstützen zu können, habe ich nichts dagegen. Ich wäre dumm, Ihre Begabungen nicht zu nutzen.” Stuart stand auf, wies auf den vor ihm liegenden Zettel und fuhr mit trockenem Lächeln fort: “Glauben Sie, meine Notizen in Schönschrift abschreiben zu können, oder muss ich damit rechnen, dass Sie Tintenkleckse machen?”
“Ich meine, ich habe schon Schlimmeres als das kopieren müssen”, antwortete Chad schmunzelnd, setzte sich auf den Stuhl und betrachtete den unordentlichen Stapel von eselsohrigen und fleckigen Papieren, auf denen der Stallmeister seine täglichen Aufzeichnungen erstellt hatte. Er nahm den Federkiel, ließ sich von Mr. Aisgill instruieren, nach welchem Modus er vorzugehen hatte, und begann zügig, eine Reinschrift zu verfassen. Irgendwann hob er den Kopf und merkte, dass der Stallmeister ihn beobachtete. “Offenbar hatte ich früher nicht sehr viel mit Zahlen zu tun”, murmelte er stirnrunzelnd. “Aber ich verstehe genug davon, um diese kleinen Beträge zu verrechnen.” Er konnte Mr. Aisgill gegenüber nicht behaupten, dass seiner Ansicht nach diese Arbeit einst von anderen für ihn erledigt worden war und er sie nur kontrolliert hatte. Das hätte äußerst unwahrscheinlich geklungen.
Stuart wartete, bis Newcome die Eintragungen beendet und noch eine Reihe von Briefen verfasst hatte. Sobald der Reitknecht das Büro verlassen hatte, ging er zum Bureau, nahm die Schriftstücke an sich und hob erstaunt die Brauen. Alles war sauber und gut leserlich niedergeschrieben. Unwillkürlich lachte er bei dem Gedanken auf, wie Henson reagieren würde, wenn er die Unterlagen sah. Diesmal konnte der Verwalter nicht ungehalten sein, und auch in Zukunft nicht, denn Stuart hatte sich auf der Stelle entschieden, Newcome weiterhin als Sekretär zu beschäftigen. Kopfschüttelnd furchte er die Stirn. Je mehr der Reitknecht seine Fähigkeiten entdeckte, desto deutlicher wurde es, dass er kein einfacher, ungebildeter Mann sein konnte.
4. KAPITEL
E ine Woche nach der Begegnung am Brunnen hatte Elinor, wie jeden Freitag, ihre Berater zu sich in ihr Arbeitszimmer gebeten. Die Versammlung bestand aus John Henson, Stuart Aisgill, Robert Challenor
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