Der gewagte Antrag
zarten Duft wahr, der ihrem Haar entströmte. Gekrümmt drückte er sie an sich, verlor jäh die Balance und fiel mit der Countess zu Boden.
Vorher hatte er stets nur beim Aufsitzen ihren Fuß gehalten, nun jedoch zum ersten Male gewagt, sie an sich zu ziehen. Die Gefühle, die sie unversehens erfüllten, waren einzigartig und wunderbar. Natürlich war sie schon früher von einem Mann in die Arme genommen worden, beim Tanzen, wenn sie in ein Boot gehoben wurde oder von Aisgill, der sie nach einem Sturz vom Pferd aufgehoben hatte. Nie hatte sie indes das köstliche Prickeln verspürt, das sie nun in Newcomes Umarmung empfand.
Rasch ließ er sie los, blieb neben ihr in der dämmrigen Höhle sitzen und rang um Fassung. Der Verlust des Gedächtnisses schien auch zu mangelnder Selbstbeherrschung zu führen, denn unvermittelt musste er sich des Wunsches erwehren, Lady Malplaquet zu küssen, sich auf sie zu werfen und zu besitzen. Tief durchatmend, bezwang er den Drang, richtete sich halb auf und stolperte geduckt durch den Spalt. Im Freien lehnte er sich an einen großen Felsen und versuchte, den inneren Aufruhr zu dämpfen, ehe die Countess ihm folgte.
Schwankend erhob sie sich, tastete sich gebückt aus der Höhle und sagte in einem Ton, der ihr erschreckend falsch in den Ohren klang: “Es ist Zeit, Newcome, heimzukehren. Ich bin plötzlich sehr müde.”
Er hatte sich etwas beruhigt, verbeugte sich steif und half ihr wortlos auf den Rotfuchs. Dann band er die Pferde los, schwang sich auf den Rappen und wartete, bis die Countess of Malplaquet losritt.
In tiefem Schweigen kehrten sie nach Campions zurück.
“Nell, heute bist du erstaunlich geistesabwesend!”, tadelte Annabelle und schaute befremdet die Nichte an. “Schon zweimal habe ich dir dieselbe Frage gestellt und nie eine Antwort erhalten! Das sieht dir gar nicht ähnlich. Wo bist du mit den Gedanken?”
Elinor errötete. Sie hatte an das Erlebnis mit Chad Newcome gedacht, an den Ausflug in das Moor und den Zwischenfall in der Cairn-Höhle. Es war ausgeschlossen, der Tante zu erzählen, was sie dabei verspürt hatte. Vermutlich hatte sie sich alles nur eingebildet. Eine mit siebenundzwanzig Jahren noch unberührte Frau, die Gefahr lief, eine alte Jungfer zu werden, konnte unmöglich für einen Reitknecht das empfinden, was sie gefühlt hatte. Und noch mehr bestürzte Elinor, dass sie diesen Niemand in Gedanken wieder in halbnacktem Zustand vor sich gesehen hatte, so, wie er vor Wochen in Campions eingetroffen war.
Gewiss war sie einem Trugschluss erlegen, in bezug auf ihre Gefühle ebenso wie auf den Ausdruck des Verlangens, den sie in Newcomes Augen gesehen hatte, als er in dem niedrigen Felsenraum neben ihr saß. Es war doch ein untrügliches Zeichen, dass er sich auf dem Heimritt und bei der Ankunft in Campions ganz seiner Stellung bewusst verhalten, Elinor, ohne sie anzuschauen, aus dem Sattel geholfen und dann mit gesenktem Blick die Pferde in den Stall geführt hatte! Sie war entschlossen, seine Nähe hinfort zu meiden. Nach gründlicher Überlegung kam sie jedoch zu der Erkenntnis, dass es ratsamer war, ihm nicht ständig aus dem Wege zu gehen. Sonst vermutete Aisgill wahrscheinlich, dass Newcome sich etwas zuschulde hatte kommen lassen. Dabei hatte Chad nichts Unrechtes getan.
Sie schaute auf Post, die ihr der an diesem Morgen noch hinfälliger auf sie wirkende Sekretär zurecht gelegt hatte, und befand, sie sei viel zu unkonzentriert, um die Briefe zu lesen. Unlustig nahm sie einige der Schreiben zur Kenntnis, von denen eines von ihrem bei den Staffords in Trentham weilenden Cousin Ulric stammte. In schlecht zu entziffernder Schrift teilte er ihr mit, er habe vor, sie in den nächsten zwei Wochen auf der Weiterreise nach Borders aufsuchen, wisse den genauen Ankunftstag indes noch nicht. Sie berichtete der Tante den Inhalt der Nachricht, stand auf und äußerte trocken: “Bei den Staffords ist Ulric wahrscheinlich ebenso ungelitten wie bei mir. Sie sind jedoch zu höflich, um ihm das freimütig zu verstehen zu geben. Nun, dann werde ich jetzt der Haushälterin sagen, sie solle ihm eine Suite herrichten. Schließlich ist er mein Erbe. Entschuldige, Tante Annabelle, aber danach gehe ich in die Bibliothek. Challenor hat mir erzählt, er habe in einem Kabinettschrank einige alte Folianten entdeckt, die ich mir ansehen soll.”
“Ja, tu das”, erwiderte Annabelle zustimmend. “Das hilft dir vielleicht, etwas ruhiger zu werden. Deine Leidenschaft
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