Der gewagte Antrag
befohlen habe, mich zu lieben!”
Er schloss die Augen, um Nells Gesicht nicht sehen zu müssen. Die Erinnerung an sie würde ihn Zeit seines Lebens nie verlassen.
Sie nahm sein Schweigen für Zustimmung und fuhr eifrig fort: “Außerdem bist du mein Sekretär. Ich bestehe auf einer dreimonatigen Kündigungsfrist und setze voraus, dass du vorher nicht heimlich versuchst, Campions zu verlassen. Solltest du es tun, scheuche ich dir die Hunde nach. Sie werden dich aufspüren, und dann musst du zurückkommen.” Erschüttert durch die Vorstellung, Chad zu verlieren, traten Elinor die Tränen in die Augen.
“Nicht weinen”, sagte er weich, zog das Taschentuch aus dem Jackett und tupfte ihr die Wangen ab. “Du bist doch sonst so tapfer, Nell.”
“Welch schöne Worte von jemandem, der mich meinem Schicksal überlassen will!”, jammerte sie. “Mich erwartet eine lieblose Ehe und ein leeres Leben! Ich wäre viel lieber die Tochter eines Tagelöhners und nicht die Countess of Malplaquet, denn dann könnte ich den Mann heiraten, der mir so viel bedeutet. Du darfst nicht gehen, Chad!”
Zutiefst aufgewühlt, schaute er sie an. Er wusste, dass alles, was sie äußerte, ihr aus dem Herzen kam. Aber er sah auch das Gesicht des Stallmeisters vor sich und den Ausdruck der Verachtung in dessen Blick. Es war nicht zu verkennen gewesen, dass Mr. Aisgill glaubte, Chad habe gegen jeden Anstand verstoßen.
“Muss ich mich dem fügen, was Aisgill will?”, brauste Elinor schluchzend auf. “Ist er der Herr im Hause?”
“Er hat nur dein und Campions Wohl im Sinn”, antwortete Chad besänftigend.
“Campions Wohl!”, entrüstete sie sich. “Bedeutet euch, ihm und dir, Campions etwa mehr als dir deine Liebe zu mir? Wenn jede Dame von Stand, die mit einem ihr nicht ebenbürtigen Mann eine Liaison eingegangen ist, so bestraft würde wie ich, würde mindestens die Hälfte aller adligen Frauen mit Leidensmiene herumlaufen.”
“Du bist nicht irgendeine Dame von Stand”, entgegnete Chad ernst. “Du bist die Countess of Malplaquet und eine tapfere, besonnene Frau.”
“Worte, nichts als Worte! Du bist, wer immer du früher gewesen sein magst, ein mutiger, beherzter Mann. Einen Schwächling könnte ich nicht lieben. Ich kann dich nicht zwingen zu bleiben, aber noch gebe ich dir nicht die Erlaubnis, Campions und mir den Rücken zu kehren. Lass mir noch ein wenig Zeit, ehe ich mich ein für alle Mal einem tristen Leben ausgeliefert sehe. Um mehr bitte ich dich nicht!”
Chad wusste nicht, was er sagen solle. Angesichts des Kummers, den er Nell bereitet hatte, zählte nicht einmal sein Ehrgefühl oder die Rücksichtnahme auf sie.
Sie wusste, dass sie ihn auf ihre Seite gezogen hatte. “Bleib noch eine Weile hier”, fuhr sie rasch fort. “Mir genügt es, dich in meiner Nähe zu haben. Wir werden vorsichtig sein.”
“Gut, ich bin mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist einverstanden”, willigte Chad ein. Im gleichen Moment war ihm jedoch klar, dass dieser Zeitraum nicht reichen würde, um voneinander Abstand zu gewinnen. Die Gefühle, die ihn und Nell verbanden, waren zu stark.
Innerlich atmete sie auf. Ihr blieben drei Monate, in denen sie mit allen Mitteln versuchen konnte, ihn anderen Sinnes und sich gefügig zu machen.
Chad war im Hippodrom und schulte Rajah, als der Verwalter mit den Rechnungsbüchern und einem Stoß Briefe das Arbeitszimmer betrat. Ehe Elinor sich mit den Unterlagen und der Post befasste, zeigte sie Henson das Billett, durch das Newcome den Dienst quittiert hatte.
“Nanu, was ist denn in ihn gefahren?”, wunderte sich John. “Wo will er einen ähnlich angesehenen Posten finden wie hier?”
“Ich war stets der Annahme, dass Sie ihn nicht schätzen?”, erwiderte Elinor überrascht.
“Anfänglich mochte ich ihn nicht”, gestand John. “Bald habe ich mich jedoch genötigt gesehen, seine Fähigkeiten anzuerkennen, ganz zu schweigen von seiner Ehrlichkeit und der beim Angriff auf Sie bewiesenen Courage. Die Hingabe, mit der er sich seinen Pflichten widmet, ist mustergültig. Ich hätte ihn nicht für so undankbar gehalten, sich nun von allem abzuwenden, was ihm Zuflucht und Geborgenheit gab.”
“Es ist nicht Undankbarkeit, die ihn zu diesem Schritt bewogen hat, Mr. Henson.”
“Was dann? Hat er das Erinnerungsvermögen zurückgewonnen?”
“Das hatte ich ebenfalls vermutet, doch es trifft nicht zu.” Rasch überlegte Elinor, was sie Henson als Begründung für Newcomes
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