Der gewagte Antrag
seiner Miene, dass er das, was sie ihm schenken wollte, nicht mehr zurückwies. Sie hatte gewonnen. Dicht vor ihm blieb sie stehen und erbebte, als er ihr Gesicht zwischen die Hände nahm und sie küsste. Es war nicht so wie bei den früheren Gelegenheiten. Der Kuss war hart, fordernd und besitzergreifend. Sie genoss ihn, schlang Chad die Arme um den Nacken und zog ihn noch enger an sich. Sie wollte mit ihm verschmelzen, vollkommen eins mit ihm sein. Sie wusste nicht, wie lange der köstliche Moment dauerte, bis sie plötzlich spürte, dass Chad ihr das Kleid von den Schultern streifte und ihre entblößten Brüste streichelte. Entflammt verlor sie sich in seine Liebkosungen und dachte nur daran, dass sie endlich kurz vor der Erfüllung ihrer Träume stand.
Jäh löste er sich von ihr, schob sie ein Stück von sich fort und murmelte spröde: “Nein, Nell, das dürfen wir nicht tun.”
“Nein?”, wiederholte sie fassungslos. “Was soll das, Chad? Ich will, dass du mich liebst! Ich befehle es dir! Tu es, jetzt und auf der Stelle!”
“Nein, nicht auf diese Weise”, widersprach er leise und versuchte, sich Elinor zu entziehen.
Sie klammerte sich an ihn und fragte bestürzt: “Was meinst du damit? Ich dachte, so würde es gemacht. Gibt es eine andere Möglichkeit? Wenn ja, dann zeige sie mir. Sofort, Chad, sofort!”
Er lachte unterdrückt auf und seufzte dann. “Himmel, Nell, du bringst mich mit Worten und Taten arg in Versuchung! Wir können uns so lieben, wie du es möchtest, aber nicht hier und nicht zwischen Tür und Angel. Ich will dich nicht wie eines der feilen Weiber besitzen, die auf der Straße nach Kunden Ausschau halten. Ich möchte dich auf eine Weise und unter Umständen lieben, die dir und mir gerecht werden.”
“Wo, Chad? Wo?”, fragte Elinor begierig. “Es gibt keinen Ort, wo wir unter uns sind. Nein, Chad, Ort und Stunde sind jetzt genau richtig.”
Sie streichelte ihm die Wange, und er flüsterte eindringlich: “Liebling, mein Herz, Schätzchen, ich will dich! Aber du musst auch imstande sein zu geben, nicht nur zu nehmen. Irgendwie werde ich dafür sorgen, dass wir uns an einem geeigneteren Ort treffen können. Bitte, Nell!”
“Gut, wenn du es so willst, bin ich einverstanden.” Sekundenlang stand sie reglos vor ihm, überaus zufrieden, sich an ihn schmiegen zu können.
Dann befreite er sich aus ihren Armen, richtete ihr das Kleid und zupfte sich das verrutschte Krawattentuch zurecht. Er hauchte ihr noch einen Kuss auf die Stirn, ging zur Tür und hielt sie ihr auf.
Sie durchquerte die Bibliothek und sagte, bevor sie den Raum verließ: “Bald, Chad! Bald!”
Seit der letzten Begegnung mit Elinor wurde Chad nachts von den furchtbarsten Träumen geplagt. In den Morgenstunden des folgenden Tages war er von dem im nebenan gelegenen Raum nächtigenden Sandby schweißgebadet angetroffen und erschrocken geweckt worden, weil er im Schlaf so laut geschrien hatte. Gleich nach der Ankunft in Campions war er von solchen Albträumen heimgesucht worden, doch in der Folge hatten sie aufgehört. Nun fragte er sich, ob das Treffen mit der Countess of Malplaquet im Bücherkabinett sie wieder ausgelöst hatte.
Ein Punkt überraschte ihn. Er entsann sich, dass er in jenem Traum, ehe er von Mr. Aisgills Stellvertreter munter gemacht worden war, das von Langton benutzte Gewehr in der Hand gehalten hatte. Er hatte weiße Handschuhe getragen und mit einem Offizier geplaudert, als sei er ihm gleichrangig gewesen. Dann hatte das Bild sich im Dunklen verloren, und Chad waren morgens, wie sonst auch, nur noch Bruchstücke des Traumes im Gedächtnis haften geblieben.
Inzwischen hatte er jedoch gelernt, mit diesem Zustand zu leben und sich damit abzufinden, dass er wahrscheinlich nie erfahren würde, wer er wirklich war. Verbissen stürzte er sich in die Arbeit, um möglichst nicht über sich und seine Empfindungen für Lady Malplaquet nachzugrübeln. Ihr zuliebe strengte er sich an, die Gefühle für sie nicht zu zeigen.
Zum Jahreswechsel wurde, wie in Campions üblich, für alle Angestellten eine große Feier veranstaltet. Bei diesem Anlass gehörte der prunkvolle Speisesaal denjenigen, die tagein, tagaus um das Wohl des Besitzes bemüht waren, und nicht nur denen, die von den Einkünften lebten.
In schwarzem Schoßfrack, gestärktem hohem Kragen, plissiertem weißen Hemd und brokatener Weste zu weißen Pantalons, gleichfarbigen Seidenstrümpfen und polierten Schnallenschuhen gesellte Chad sich
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