Der gewagte Antrag
von der geliebten Frau trennte.
Elinor hatte sich ein elegantes nougatbraunes Tageskleid angezogen und sich in der Annahme in ihr Arbeitszimmer begeben, Chad Newcome dort vorzufinden. Doch nur die Tante war anwesend und mit ihrer Stickerei befasst. “Wo ist Newcome?”, erkundigte Elinor sich stirnrunzelnd.
“Er war hier und ist eine Weile später gegangen”, antwortete Annabelle gleichmütig. Sie nahm seine Gegenwart längst als etwas Gegebenes, da sich in den Wochen, in denen sie die Anstandsdame spielte, nichts Ungebührliches zwischen der Nichte und dem jungen Mann ereignet hatte.
Elinor setzte sich an den Schreibsekretär und sah ein Couvert vor sich liegen, das Chad mit ihrem Namen versehen hatte. Sie öffnete es, zog das Papier heraus und las: “Ich muss Campions verlassen, Mylady, mit oder ohne Ihre Erlaubnis. Chad Newcome.” Sie spürte einen Stich im Herzen und hätte am liebsten aufgeschrien oder getobt. Nie hätte sie erwartet, dass Chad ihr das antun würde. Der Gedanke, ihn zu verlieren und wieder allein zu sein, war unerträglich, vor allem, weil sie dann wissen würde, worauf sie verzichten musste. Sie konnte nie wieder so sein wie vor Chads Ankunft in Campions.
Irgendwo musste er sein, wahrscheinlich in der Bibliothek, oder in Hensons Büro. Sie musste ihn unbedingt sprechen. Hastig stand sie auf und eilte in die Bibliothek. Er war allein und saß, ein Buch in der Hand, auf der Leiter.
Beim Geräusch der sich öffnenden Tür blickte er auf und sah die Countess mit seinem Brief hereinkommen.
Sie ging zu ihm, fuchtelte ihm mit dem Billett vor der Nase herum und herrschte ihn erzürnt an: “Was hat das zu bedeuten, Chad? Ich verlange eine Erklärung!”
Er verzichtete auf jede Höflichkeit, blieb sitzen und antwortete unbeirrt: “Ich war der Ansicht, mich deutlich genug ausgedrückt zu haben, Nell.”
“Ach, wirklich? Stehen Sie auf, Newcome, und zollen Sie mir den nötigen Respekt. Oder haben Sie vergessen, dass ich die Countess of Malplaquet bin?”
“Nein”, entgegnete Chad, erhob und verneigte sich achtungsvoll. “Ich bin mir dessen vollauf bewusst. Genau das ist der Grund, warum ich Ihnen den Brief geschrieben habe.”
Der Drang, zu schreien und ihrem Zorn Luft zu machen, war kaum noch zu bändigen. “Lassen Sie die Ausflüchte!”, erwiderte Elinor brüsk. “Antworten Sie mir auf meine Frage, was das zu bedeuten hat!”
Chad merkte, dass er keine weiteren Winkelzüge machen konnte. “Es wäre nicht recht, wenn ich hierbliebe”, sagte er beklommen. “Ihre Ehre darf nicht befleckt werden.
“Ehre!”, wiederholte Elinor verächtlich. “Das Wort führen Männer ständig im Munde!”
“Nun, Sie vertreten hier doch die Stelle eines Mannes”, erwiderte Chad. “Wären Sie einer, trügen Sie den Titel eines Earl. Als Frau sind Sie durch das Recht der Geburt die Countess of Malplaquet. Also können Sie wie ein Mann entscheiden und dieselben Vorstellungen haben. Doch darum geht es jetzt nicht. Ich werde Campions verlassen, weil … man auf uns aufmerksam geworden ist.”
Die Neuigkeit bestürzte Elinor. Sie wurde blass und starrte Chad eine Weile sprachlos an. “Wer ist …”, murmelte sie schließlich und hatte plötzlich eine Eingebung. “Aisgill!”, fuhr sie betroffen fort. “In den letzten Tagen hat er sich mir gegenüber sehr seltsam benommen. Aber wie in aller Welt konnte er Argwohn schöpfen? Mehr als einen Verdacht kann er nicht haben.”
“Ist das von Bedeutung? Mir genügt es, dass er Bescheid weiß.”
“Er hat nicht die mindeste Ahnung, denn es gibt nichts, was er wissen könnte!”, widersprach Elinor heftig.
“Wie dem auch sei, ich muss fort, und zwar möglichst schnell, damit kein Schatten auf uns fällt, Madam”, sagte Chad niedergeschlagen und fügte, da Mr. Challenor nicht im Raum war, leise hinzu: “Nell, andernfalls hätte ich dir den Brief nie geschrieben.”
“Wohin willst du denn, Liebster? In den sicheren Hungertod im Moor? Du hast kein Heim, keinen Zufluchtsort, und kennst nicht einmal deinen richtigen Namen. Ich lasse nicht zu, dass du in dein Verderben rennst!”
Nach dem Gespräch mit dem Stallmeister hatte Chad sich angestrengt zu erinnern versucht, wer er sei, doch vergebens. “Ich wäre wirklich ein niederträchtiger Kerl, würde ich die, welche für mich gesorgt und mir ihr Wohlwollen bewiesen haben, dadurch enttäuschen, dass ich ihre Herrin entehre”, erwiderte er bitter.
“Du würdest mich nicht entehren, weil ich dir
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