Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
Erde. Was für ein ehrgeiziges Ziel!
Lukla ist ein Ort, an den ich immer wieder mit einem Gefühl der Erleichterung zurückkehre. Ich liebe die Berge, hier bin ich zu Hause. Das kann nur verstehen, wer einmal frühmorgens vom Hubschrauber auf diesem hochgelegenen, einsamen Flecken Erde abgesetzt wurde, inmitten einer großartigen Bergwelt, deren schroffe Gipfel und Grate sich wie Gerippe messerscharf in der kristallklaren Luft abzeichnen. Diese Erhabenheit läßt einen voller Demut den eigenen geringen Stellenwert in der Ordnung der Dinge erkennen. In sieben Tagen würden wir im Basislager eintreffen. Wie immer nach meiner Ankunft wußte ich auch an jenem Morgen, daß ich in meiner eigentlichen Heimat angelangt war und daß dies das einzige Leben ist, für das ich geschaffen bin.
In diesem Jahr würden im Basislager siebzehn Teams zusammentreffen. Ich bemühte mich sehr, die Gruppe aus den üblichen Basislagerquerelen herauszuhalten. Diesmal gab es viel Wirbel um die Frage, wer den Eisbruch mit Fixseilen versichern sollte. Üblicherweise bringen die Sherpas einer oder mehrerer Expeditionen dort die Seile und Leitern an. Das Entgelt dafür fließt in die Taschen der Expeditionsorganisatoren – ein Zeichen dafür, wie zählebig Kolonialismus sein kann. Sämtliche Teams benutzen diese Route, und wer seine Sherpas nicht zu Sicherungsarbeiten zur Verfügung stellt, muß eine Gebühr bezahlen. In diesem Jahr bildete sich vorübergehend eine Interessengemeinschaft der Pangboche Sherpa Cooperative, die das Geld selbst kassieren wollte und den Kampf um die zehn- bis zwanzigtausend Dollar aufnahm. Es waren aber Henry Todd und Mal Duff, die das Eisbruch-Rennen machten. Mal und seine Sherpas versicherten in Windeseile die Route, die wir benutzen würden.
Schon jetzt ist abzusehen, daß die gesamte Aufstiegsroute einmal bis zum Gipfel durchgehend gesichert sein wird. Alle Expeditionen werden diese Route benutzen und die Sherpas als Unternehmer bezahlen. Der Tag wird kommen, an dem die Nepalesen diesen Berg so im Griff haben und vermarkten werden wie die Amerikaner den McKinley, doch wird es nicht ohne Quertreibereien und Proteste jener abgehen, die bis jetzt enorm von der Schwerarbeit unterbezahlter Sherpas profitiert haben.
Unser Team kam am 19. März im Basislager an. Dank des absolvierten Trainings brauchten wir keine Akklimatisation an diese Höhe. Vor uns lag der Eisbruch, immer ein bedeutsamer Schritt in der psychologischen Anpassung an das Ziel, die Everest-Besteigung, da er, in ständiger Veränderung begriffen, einen Sprung ins Unbekannte darstellt. Jede Durchsteigung bedeutet einen Schritt zur Überwindung der Angst. Jedes Detail verlangt Aufmerksamkeit. Man klettert stundenlang, quert riesige klaffende Gletscherspalten auf zu Brücken zusammengebundenen Leitern, bahnt sich seinen Weg bergauf durch Kaskaden sich verschiebender Eisblöcke von der Größe mehrstöckiger Häuser. Am 22. März stiegen wir mit allen Teammitgliedern für eine Akklimatisationsnacht zum Lager I auf. Alle hielten sich gut. Zeigten sich bei der ersten Durchsteigung der Route noch gewisse Unsicherheiten, kletterten die Leute beim zweiten Mal schon viel selbstsicherer und zügiger.
Nachdem wir dieses überwunden hatten, kam die Abfolge von Aufstiegen und Ruhepausen zur weiteren Akklimatisation. Nach zwei Ruhetagen im Basislager stiegen wir am 26. bis zum Lager I in 6000 Meter Höhe auf und verbrachten dort die Nacht, um am 27. direkt zum Lager II auf 6500 Meter zu gehen. Dort blieben wir zwei Nächte und paßten uns bis auf eine Höhe von 6800 Meter an. Am 29. erfolgte der Abstieg zum Basislager, wo wir eine dreitägige Ruhepause einlegten. In diesem Jahr gab es weder bei den Teammitgliedern noch beim Stab gesundheitliche Probleme.
Unsere dritte Akklimatisationsphase begann am 1. April. Wir stiegen in acht Stunden direkt zum Lager II auf und verbrachten dort zwei Nächte. Am 4. April gingen wir bis auf 7000 Meter und kehrten zum Lager II zurück, wo wir den nächsten Tag rasteten. Am 6. April stießen wir bis Lager III in 7300 Meter vor. Die Fixseile zum Lager III waren inzwischen von Apa und unseren Sherpas angebracht worden. Der 7. April war für unsere Teammitglieder ein Ruhetag im Lager III.
Nun kam der Punkt, an dem sich erstmals Probleme in unserer Organisationsstruktur bemerkbar machten. Die Sherpas unterstanden nicht meiner Führung. Sie waren als Hilfen für gewisse Aufgabenbereiche angeworben worden: für das Anbringen der Seile,
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