Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
ausgewogenen Stärke und Befähigung eine echte Hilfe sein kann.
Wir hatten nun die Wahl, uns zusammen mit den anderen Expeditionen der Reihe nach anzustellen oder als erste aufzusteigen und freie Bahn zu haben. Nach den Erfahrungen des letzten Jahres hatte ich nicht die Absicht, für eine Katastrophe Schlange zu stehen. Es genügt vollauf, wenn man sich mit eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten herumschlagen muß, auf jene der anderen kann man verzichten. Die Misere mit unseren Sherpas fand eine, wenn auch nicht optimale Lösung. Apa war unermüdlich an der Arbeit und leistete selbst mehr, als er von anderen forderte.
In Deboche ließ ich mein Team für fünf Tage allein und flog zur Zahnbehandlung nach Kathmandu. Die Jahre fordern von uns allen ihren Tribut, und mich belastete so manches: persönliche Erinnerungen, die mich verfolgten, die Sorge, ob ich nach meinem Unfall wieder voll einsatzfähig sein würde, und jetzt noch zu allem Überfluß ein Zahnproblem. Für meine Kraftreserven waren das höchst unerfreuliche Aderlässe.
Besonders der Ausflug nach Kathmandu stellte eine ungewollte Unterbrechung meiner Konzentration dar. Da ich dummerweise meine Nationalpark-Genehmigung vergessen hatte, mußte ich mich nachts aus dem Sagarmatha National Park davonstehlen, um in Lukla den Hubschrauber zu erwischen. In Kathmandu hatte ich das Glück, daß der Zahnarzt der amerikanischen Botschaft meine Behandlung übernahm. Ihm schulde ich Dank für die rasche Beseitigung meines Problems.
Das Team traf ausgeruht und einsatzfähig am 21. April im Basislager ein, wo wir uns zu einer Gebets- und Bittzeremonie versammelten. Gott ist den Indonesiern stets gegenwärtig, ähnlich wie den Sherpas, die dem Berg täglich Morgenopfer darbringen. Ich respektiere diese Frömmigkeit. Die Gesichter der Teammitglieder und der Gipfelgruppe waren während der Zeremonie von tiefem Ernst und äußerster Konzentration geprägt. Der Rest des Tages galt persönlichen Vorbereitungen. Unmittelbar vor dem Aufstieg herrscht immer angespannte Erwartung, die bei mir in meditative Ruhe, zugleich aber auch in Vorfreude auf das Kommende übergeht.
Ich wußte, daß Lager V noch nicht stand. Apa versicherte mir, es würde am Gipfeltag fertig sein. Mit dem russischen Lhotse-Team, das sich in Lager III akklimatisierte, vereinbarten wir Hilfeleistung bei einem eventuellen Notfall. Eine Stufe tiefer sollte uns das zweite Gipfelteam unterstützen, das mit den Sherpas in Lager II blieb.
Bashkirov, Vinogradski, Apa und ich würden beim Gipfelvorstoß mit Funkgeräten ausgestattet sein. Einer oder zwei von uns würden die Gipfelgruppe ständig betreuen. Auf dem Südsattel sollten zwei Sherpas mit einem Funkgerät warten, zusätzlich würden wir Funkkontakt mit den Russen in Lager III und unseren Leuten in Lager II sowie im Basislager halten.
Die Wetterberichte aus Kathmandu waren ermutigend. Eine kurze Störfront war gerade abgezogen, und die fünf vor uns liegenden Tage sahen sicher aus. Sicher ist aber ein relativer Begriff. Am Gipfel des Mount Everest befindet man sich am Scheitelpunkt langer Flußtäler, deren von Alluvialplateaus durchsetzte Hänge mit zunehmender Höhe immer steiler werden. Mit dem Ansteigen der Tagestemperatur kondensiert Feuchtigkeit in den Tälern, die im Tagesverlauf bis zu den Berggipfeln aufsteigt. In der zweiten Tageshälfte ist daher in Gipfelhöhe mit Wind und etwas Bewölkung zu rechnen. Auf 8000 Meter Höhe können auch gute Wetterbedingungen zur Herausforderung werden. In den nächsten Tagen war zwar keine Verschlechterung zu erwarten, doch mußte man auch den normalen Wetterablauf beachten. Und wir wußten, daß wir nur langsam vorankommen würden, ein unlösbares Problem, das wir mit unserem Lager V auf 8500 Meter Höhe entschärfen wollten.
Am 22. April um Mitternacht ließen drei Russen und sechs Indonesier bei Vollmond die Sicherheit des Basislagers hinter sich und stießen ins Unbekannte vor. Wir stiegen rasch zu Lager II auf. Unser indonesisches Team, das gut bei Kräften war, kam auch zügig voran und legte die Strecke in sechs Stunden problemlos zurück. Am 23. April ruhten wir uns in Lager II aus. Am 24. ließen wir hier das zweite Gipfelteam und die Sherpas zurück. Bashkirov, Vinogradski und ich stiegen mit Misin, Asmujiono und Iwan zum Lager III auf. Unser Team agierte selbständig und machte einen stabilen Eindruck, so daß emotionaler Beistand oder lockeres Geplauder zur Ablenkung sich erübrigten. Am 24.
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