Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
ehrgeizigen Bemühungen um das Sowjet-Bergsteigen ihr Leben gelassen hatten und bereits zur Legende geworden waren. Es ist eine Schande, sagte ich mir, daß das, wofür so viele gestorben sind, nun selbst eines langsamen Todes stirbt.
Anfang November setzten Boukreev und die Mitglieder des kasachischen Teams ihre Vorbereitungen für den Manaslu fort. Obwohl er von seiner Besteigung des Dhaulagiri vor einem Monat noch immer psychisch und physisch erschöpft war, konzentrierte sich Boukreev voll und ganz auf die neue Aufgabe. Wie alle Unternehmungen in großer Höhe barg auch diese ihre Risiken. Dazu kam, daß es eine Winterbesteigung war und einige Teilnehmer jung und relativ unerfahren waren. All das zusammen – die Tücken des Winterwetters und die Unerfahrenheit der Jungen – vergrößerte die Chancen nicht gerade. Trotzdem zeigte sich Boukreev nicht übermäßig besorgt, da er auf die Stärke der älteren Kletterer setzte, von denen einige mit ihm 1989 den Kangchendzönga (8586 Meter) bezwungen hatten. Später sollte er sagen: »Das Ende eines jeden Weges ist nur der Anfang eines neuen, längeren und schwierigeren.« Der Weg auf den Manaslu sollte sich um ein Haar als verhängnisvoll erweisen.
Auch Fischer, der nach Dänemark geflogen war, nachdem er sich Boukreevs Teilnahme gesichert hatte, stand am Anfang eines Weges, als er das Team für den Everest zusammenzustellen begann. In Kopenhagen war ein Treffen mit Lene Gammelgaard vorgesehen. Seit er der Vierunddreißigjährigen – Anwältin, Therapeutin und Abenteuerin in einer Person – 1991 im Himalaja begegnet war, hatte er einen sehr persönlichen Briefwechsel mit ihr geführt und ihr offen seine beruflichen und persönlichen Probleme geschildert. Lene hatte von ihrem Leben, ihren Zielen und ihrer Liebe zu den Bergen geschrieben, und beide schmiedeten Zukunftspläne.
Lene erinnerte sich: »Nachdem wir uns 1991 begegnet waren, schrieben wir einander und dachten, wir würden uns wieder treffen und irgendwo in Europa oder Alaska klettern. 1995 war es dann endlich soweit.«
Fischer hatte Lene ermutigt, sich 1995 seiner Expedition zum Broad Peak anzuschließen und ihren ersten Achttausender zu machen, jedoch hatte sie sich zwischenzeitlich anders entschieden. Die »ganz Großen« wollte sie nicht mehr anpacken. Sie hatte sich neue Ziele gesetzt, die sie in Pakistan mit Fischer besprach.
»Als ich hinflog, wußte ich, daß die Bergsteigerei hinter mir lag«, sagte sie. »Ich wollte Familie und Kinder, ein Zuhause; meinen Elan zwar nicht aufgeben, aber keine Berge mehr besteigen.«
Während Fischer und Lene Gammelgaard auf dem Trekkingpfad zum Broad-Peak-Basislager wanderten, teilte sie ihm ihren Entschluß mit. »Es war für mich eine Art Wendepunkt, an dem ich mir sagte: ›Okay, ich gebe mich mit dem Treck zufrieden; mal sehen, ob es mir Spaß macht.‹ Es war also eine ganz bewußte Entscheidung, etwa nach dem Motto: ›Ich bin jetzt erwachsen und vernünftig.‹«
Lenes Entschluß stand unumstößlich fest. »Dann fragte Scott mich, ob ich im Frühjahr 1996 auf den Everest wolle.« Ohne zu zögern, ohne auch nur einen Moment zu überlegen, sagte sie zu. Noch nie hatte eine Skandinavierin den Everest geschafft. Jahrelang hatte sie davon geträumt. Es gab also doch noch einen Berg für sie.
»Ich flog zurück nach Dänemark und dachte, ›mal langsam, erst will ich sehen, ob der Bursche den Broad Peak überlebt. Wenn nicht, kommt die Everest-Expedition sowieso nicht zustande.‹ Deshalb unternahm ich nichts, bis die Nachricht eintraf, daß er wohlbehalten unten angekommen war. Dann erst machte ich mich daran, Sponsoren zu finden.«
Fischer, der Lene Gammelgaard unbedingt dabeihaben wollte, hatte ihr angeboten, ihr bei der Sponsorensuche behilflich zu sein. »Es war Schwerarbeit, acht bis zehn Stunden täglich, unausgesetzt Telefonate, Briefe, Werbung, wobei die Presse ein gewisses Image in der Öffentlichkeit schaffen und das Interesse potentieller Geldgeber wecken sollte«, erklärte sie. »Es war eine Art strategisch geplanter Medieneinsatz zur Geldbeschaffung.«
Fischer hatte Erfahrung im Geldauftreiben und unterstützte Lene, obwohl er körperlich nicht ganz auf der Höhe war. »Im Januar hatte er eine große Expedition zum Kilimandscharo vor«, berichtete sie. »Bis zum Everest-Projekt hatte er ein knochenhartes Programm. Ich war entsetzt, wie erschöpft er war. Völlig ausgelaugt. Das sollte sich auch nicht ändern. Immer wieder warf es ihn
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