Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
in die Knie zwingen will, werde ich stocksauer. Ich bin nämlich gern als erster am Zug. Ich drücke nicht ab, aber ich ziehe als erster.«
Boukreev knüpfte Gespräche mit Zvesda an, ließ aber Poisk noch nicht fallen. Falls Poisk nachgab und sich mit ihm einigte, konnte er Mountain Madness fast ein Drittel des von Todd geforderten Preises ersparen und sich selbst vielleicht eine kleine Provision verdienen. In West Seattle lief Karen Dickinson sich indessen die Sohlen durch, um ihren Paß verlängern zu lassen, da Boukreev ihr erklärte, daß Bargeld verlangt wurde, falls Mountain Madness sich mit Pois doch noch einigen konnte. Sie mußte abflugbereit mit einem Aktenkoffer voller Dollars dastehen.
Fischer hatte klargemacht, was er brauchte: leichte Sauerstoffflaschen, da in großer Höhe das Gewicht eine große Rolle spielt und er die Gipfelchancen seiner Kunden steigern wollte. Deshalb schlug Mountain Madness einen Kompromiß vor. Man war bereit, einen gewissen Vorrat Poisk-Sauerstoff bei Todd zu kaufen, aber nur so viel, um die Teilnehmer für den Gipfelanstieg zu versorgen. Die übrige Menge – den Bedarf für niedrigere Höhen und für die Sherpas – würde man bei Zvesda bestellen. Die Behälter von Zvesda, die im Gegensatz zu den drei Litern von Poisk vier Liter faßten, waren entsprechend schwerer.
Dieser Vorschlag wurde Todd übermittelt, und er überlegte sich die Sache. »Da ich Scotts Unentschlossenheit kannte, wußte ich nicht, wie es laufen würde.« Poisk rief wieder an und wollte wissen: »Haben Sie nun mit Mountain Madness abgeschlossen oder nicht?« Todd beruhigte: »Keine Bange, alles ist okay. Der Handel gilt.« Todd stand offenbar mit dem Rücken zur Wand. Poisk zitterte um das Geschäft, und Boukreev hoffte noch immer auf Zvesda. Todd setzte nun alles auf eine Karte. Er rief Karen Dickinson an und erzwang eine Entscheidung.
»Ich fragte sie: ›Was ist jetzt damit?‹ Und sie sagt: ›Tja, wir sind auf der Suche nach …‹ Ich sagte: ›Hör zu, ich bin mit Poisk im Geschäft. Ich verkaufe Poisk. Die liefern an niemanden anderen. Sie werden auch mit keinem anderen verhandeln. Es läuft über mich oder gar nicht. Außerdem stelle ich sämtliche Sauerstoffmasken und Regler zur Verfügung. Entweder ihr nehmt alles, oder ich pfeife auf euer Geld. Für mich ist die Sache damit gelaufen.‹« Karen Dickinson konterte: »Aber Anatoli sagt, daß er uns bessere Bedingungen aushandeln kann.« Todd, der sich trotz wachsender Anspannung gelassen gab, erklärte: »Hör mal, du kennst mein Angebot. Greif zu oder laß es. Entweder du unterschreibst das Fax, das ich dir schicke, oder du kannst es vergessen. Mir völlig egal.«
Mountain Madness gab sich geschlagen. Die Bestellung wurde abgeschickt, und der Deal kam zustande. Dickinson mußte nicht nach Rußland fliegen. »Anatoli tat, was er konnte, und er bemühte sich wirklich, die Sache zum Abschluß zu bringen. Aber ich glaube, wir waren einfach zu spät dran, und Henry Todd hat uns ausmanövriert. Diese Runde ging an ihn.«
Obschon für die Beteiligten nervenaufreibend, war an der Sache nichts Ungewöhnliches. Der Expeditionskommerz mit all seinen verborgenen Mechanismen, die den Kletterer auf den Berg bringen, birgt nicht weniger Dramatik als der Kauf eines Gebrauchtwagens. Haie tummeln sich in allen Gewässern. Jeder will den besten Preis. Alles steht und fällt mit der Rechnung.
In einem an Boukreev gerichteten Bestätigungsschreiben faßte Karen Dickinson die Bestellung zusammen: »Betrifft Sauerstoff. Wir haben von Henry Todd folgendes gekauft: 55 Drei-Liter-Flaschen von Poisk, 54 Vier-Liter-Flaschen von Zvesda, 14 Regler, 14 Masken.« Eine Auflistung von Zahlen. Zahlen, die man später genau unter die Lupe nehmen würde, Zahlen, deretwegen man später endlose, schmerzliche Fragen stellen würde.
Am 9. Februar faxte Fischer, der endlich wieder in seinem Mountain-Madness-Büro saß, eine persönliche Antwort an Boukreev. Als erstes gab er seiner Freude über Anatolis Rolle bei der Expedition Ausdruck. »Ich finde es toll, daß wir dich als Führer für die Tour auf den Everest haben. Wir besitzen damit ein großes Leistungspotential. Ich erwarte mir einen vollen Erfolg. Und wenn wir diese Expedition gut hinter uns bringen, kannst du auch auf viele andere Gipfel führen. Klar?« Das war die Einleitung, verständnisvoll und freundlich. Erst in den nächsten Sätzen kam er auf den Punkt zu sprechen, der ihn beunruhigte. »Vielleicht ist an den
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