Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
wollten. Meine Kondition hatte sich dank der Arbeit sehr verbessert, obwohl ich noch immer müde war. Die Gruppe schien sich mit Ausnahme von Lene und Dale ebenfalls gut zu akklimatisieren. Lene hatte rote, entzündende Augen und wirkte irgendwie angeschlagen. So wie ich am Vortag schien sie geringfügige Probleme zu haben, die jedoch nicht bedrohlich waren. Bei Dale Kruse lag die Sache anders.
Boukreev beobachtete Kruse genau und registrierte, daß er anders als die anderen »apathisch, in sich gekehrt und gleichgültig« schien. Sein erfahrener Blick sagte ihm, daß Kruse mit großen Schwierigkeiten kämpfte. Gegen zehn Uhr machte sich Martin Adams, der endlich seine Nacht in Lager III hinter sich gebracht hatte, daran, seine Ausrüstung zusammenzusuchen. Er wollte sofort absteigen. Boukreev, dem vor allem daran lag, Kruse auf eine niedrigere Höhe zu bringen, redete allen zu, Adams’ Beispiel zu folgen.
Für jemanden, der noch nie so hoch oben war, reicht eine Nacht, deshalb versuchte ich Lene und Sandy davon abzubringen, noch einmal in Lager III zu übernachten. Ich hielt ihren Ehrgeiz für falsch, da sie Ruhe brauchten. Deshalb schlug ich vor, sie sollten am Morgen auf 7500 bis 7600 Meter steigen und dann zum Lager II hinuntergehen, aber keine zeigte den Wunsch, höher zu klettern.
Während ich mit den Kunden sprach, fiel mir auf, daß es mit Dales Zustand rapid abwärts ging. Gemeinsam mit einigen anderen aus der Gruppe, die sich ebenfalls Sorgen um ihn machten, redete ich ihm nun zu, sich auf den Abstieg einzustellen.
Schließlich ließ Kruse sich überzeugen, packte seine Sachen zusammen und zog sich an. Als Boukreev sah, wie er sich bewegte, war er nicht nur besorgt, sondern alarmiert, da Kruse »wacklig war und sich kaum auf den Beinen halten konnte«. Nun mußte man mit dem Schlimmsten rechnen. Kruse war groß, viel größer als Boukreev, und hatte seine Bewegungen nicht unter Kontrolle. Stürzte Kruse, war es ungewiß, ob Boukreev imstande sein würde, ihm wieder auf die Beine zu helfen und ihn sicher hinunter ins Lager II zu bringen.
Ich sicherte Dale an den Fixseilen, allerdings unter erheblichen Schwierigkeiten. Ob daran sein Zustand oder meine Verständigungsprobleme schuld waren, weiß ich nicht, doch dauerte es eine Weile, bis ich ihm klargemacht hatte, wie er sich festmachen und mit mir absteigen sollte. Als wir unseren Abstieg begannen, kamen zum Glück Scott und Neal in Sicht. Scott eilte mir sofort zu Hilfe, als er Dales Zustand sah.
Wir entschieden, Dale zu zweit hinunterzuschaffen, während Neal in Lager III bleiben sollte, da er für seine Akklimatisation eine Übernachtung brauchte.
Fischer, der Kruse mit einem an seinem Klettergürtel befestigten Seil sicherte, ging beim Abstieg als erster. Er wiederum war an Boukreev gesichert, der hinter den beiden ging. Ihm folgte Lene Gammelgaard, während Sandy Pittman trotz Boukreevs Einwendungen oben geblieben war.
Um 6900 Meter rappelte Kruse sich auf, kam zu sich und hatte nun wieder Gewalt über seine Bewegungen. Als wir um siebzehn Uhr den Fuß der Lhotse-Flanke erreicht hatten und uns im Western Cwm befanden, das uns zum Lager II bringen würde, machte Kruse einen ganz normalen Eindruck. Wir lösten unsere Verbindungsseile, damit jeder für sich allein weitergehen konnte.
Während Kruse vor ihnen über den Gletscher abstieg, besprachen Fischer und Boukreev die Ereignisse der letzten Tage. Boukreev berichtete von den Fortschritten, die auf der Route gemacht worden waren, Fischer von den Problemen im Basislager.
Scott informierte mich über den Zustand von Ngawang Topche. Begleitet von seinem Neffen und Ingrid, war er nach Kathmandu geflogen worden. Die Kosten der Rettungsaktion würden sich auf etwa 10000 Dollar belaufen. Diese Ausgabe, Ngawang Topches Unfall, sein Sauerstoffverbrauch, der unsere Vorräte empfindlich verringert hatte, und die Tatsache, daß unsere Sherpas weder Lager IV vorbereitet noch Sauerstoffflaschen hinauftransportiert hatten, waren für Scott die bedrückendsten Sorgen. Seine Offenheit bewog mich, die Rede auf unsere Sherpas zu bringen. Ich sagte, daß ich von Anfang an das Gefühl gehabt hätte, sie seien nicht stark genug. Im Vergleich zu Rob Halls Team, das Ang Dorje unterstellt war, war unseres weder so tüchtig noch so gut geführt. Wir einigten uns dahingehend, daß wir nach der Expedition sehen würden, wie sich unsere Sherpas insgesamt gehalten hätten. Dann erst wollten
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