Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Titel: Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston Dewalt
Vom Netzwerk:
und sie erst beim letzten Vorstoß in Lager II oder III umstimmen, falls sie nicht fit genug waren.
     
    Fischers Entscheidung war für Boukreev Grund zur Besorgnis, und Martin Adams hatte ebenfalls Bedenken. »Scott hält alle bei der Stange, auch Dale und (Pete) Schoening. Es ist ganz klar, daß sie nicht wirklich fit sind. Sie können es nicht schaffen, aber sie wollen aus irgendeinem Grund hinauf. Mir ist natürlich klar, daß Scott seine Gruppe unbedingt auf den Berg bringen möchte, weil er gute Publicity braucht. Im Basislager sagte ich zu Neal: ›Die Burschen haben da droben nichts zu suchen. Wenn jemand umkommt, habt ihr mehr Publicity, als euch lieb sein kann. Also überlegt euch gut, was ihr Leben wert ist, ehe ihr sie hinaufschleppt.‹«
     
    Scott war wegen Lene total am Boden zerstört. Angesprochen auf ihre Absicht, ohne Sauerstoff zu klettern, hob er nur resigniert die Hände und schüttelte den Kopf. Ich schlug vor, mit ihr zu reden, weil ich ebenfalls der Meinung war, daß es zu gefährlich sei, wenn sie es ohne Sauerstoff versuchte. Ihr mangelte es sowohl an Erfahrung, ihren Körper richtig einzuschätzen, als auch an der ausreichenden Akklimatisation.
    Kurz vor dem Abendessen ging ich zu Lenes Zelt und fragte, ob ich mit ihr über ihre Pläne sprechen könnte. Sie ließ mich ein und hörte mich an. Ich erklärte ihr, daß ich 1991 bei meiner ersten Besteigung des Everest ohne Sauerstoff sogar so weit gegangen sei, eine Nacht auf dem Südsattel zu verbringen, um meine Akklimatisation zu fördern, ehe ich ins Basislager abstieg. Da sie nie über 7200 Meter hinausgekommen war und keinerlei Erfahrungen aufzuweisen hatte, die ihre Erfolgsaussichten begünstigt hätten, riet ich ihr von dem Vorhaben ab. Ich versprach, den Aufstieg mit ihr zu wiederholen, wenn möglich ohne Sauerstoff, falls sie ihn beim ersten Mal mit Sauerstoff geschafft hätte. Jetzt kann ich zugeben, daß ich wußte, sie würde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Energie dafür aufbringen, doch mein Angebot stand, und ich hätte es eingehalten, wenn sie darauf gepocht hätte.
     
    Am Abend wandte Fischer sich im Essenszelt an die Gruppe, von der nur Charlotte Fox und Tim Madsen fehlten, die erst zurückkehren mußten, sowie Martin Adams, der bis zur Waldgrenze abgestiegen war. Fischer sagte, daß sie, gutes Wetter vorausgesetzt, am 5. Mai nach einer längeren Ruhepause zum endgültigen Gipfelanstieg aufbrechen würden. Dann sagte er im Spaß, der wahre Grund, warum Boukreev und Adams, für ihre letzte Ruhephase bis zur Waldgrenze abgestiegen waren, sei ihre Vorliebe für hübsche Trekkerinnen und für Bier.
     
    Gleich darauf erschien Lene, trat hinter meinen Stuhl und legte die Arme um mich. Sie gab mir einen Kuß auf die Wange und sagte so laut, daß alle es hören konnten: »Vielen Dank, Anatoli.« Dann ging sie zu einem leeren Stuhl und setzte sich. Da keiner wußte, um was es ging, blickten alle lächelnd von mir zu Lene. Scott allerdings hatte verstanden. Er wußte, daß das Sauerstoffproblem gelöst war.

12. Kapitel Der Countdown läuft
     
    Nachdem ich mich von allen verabschiedet hatte, knipste ich die Stirnlampe an und begann meinen Abstieg. Binnen einer Stunde aber war die Nacht taghell, da ein fast voller Mond aufstieg und den Khumbu-Gletscher beschien. Zu meiner Rechten begleitete mich eine Zeitlang die Shilhouette des Pumori, und als diese zurückblieb, war ich allein unterwegs, voller Vorfreude auf die Luft und auf die Wärme, die mich weiter unten erwarteten. Obwohl ich gut akklimatisiert war und mich wohlfühlte, spürte ich, daß meine Aktivitäten in den letzten Wochen an meiner Energie gezehrt hatten und ich wieder neue Kraft tanken mußte.
     
    Boukreev stieg mehrere Stunden ab. Nachdem er Lobuche, den Schauplatz des Satellitentelefon-Duells zwischen Jane und Sandy, hinter sich gelassen hatte, nahm er die linke Abzweigung nach Dingboche (4350 Meter), wo er Martin Adams zu treffen hoffte. Um ein Uhr morgens, eine halbe Stunde außerhalb des Dorfes, schlug er unter dem Sternenhimmel sein Biwak auf.
     
    Am nächsten Morgen ging ich zur Unterkunft, in der ich Martin vermutete, doch die Sherpani, die das Haus führte, sagte, daß am Vortag niemand eingetroffen sein. Also frühstückte ich und setzte dann meinen Treck fort. Nach einer knappen Stunde kam ich in Pheriche (4280 Meter) an, wo ich zwar nicht Martin, aber unsere Expeditionsärztin Dr. Hunt antraf, die eben aus Kathmandu zurückgekehrt war.
    Dr. Hunt

Weitere Kostenlose Bücher