Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
sie in Beidlemans geringer Höhenerfahrung den Grund für sein Bestreben, sich um jeden Preis beweisen zu wollen, um als Bergführer »verehrt« und »respektiert« zu werden. »Das kam für mich gar nicht in Frage. ›Ich brauche keinen Führer, und dich schon gar nicht‹. Als er nicht kapierte und es wieder probierte und sich aufs neue eine Abfuhr holte, half nur ›Nimm endlich Vernunft an, komm mir nicht in die Nähe oder es kracht‹. Ich glaube, er hatte es mit mir sehr schwer.«
Wie Boukreev und Fischer heimste auch Beidleman von einigen Kunden Kritik ein, verhielt sich aber bei Meinungsverschiedenheiten immer professionell und fiel nur selten aus der Rolle, indem er sich auf einen öffentlichen Auftritt einließ.
Abends hatte ich unser Zelt in Lager III für mich und genoß die Einsamkeit und Stille der Lhotses-Flanke weit ab von der Betriebsamkeit des Basislagers. Auf meinem Kocher bereitete ich Tee und etwas zu essen. Nach dem schweren Arbeitstag verspürte ich nichts von der Appetitlosigkeit, an der man in großer Höhe oft leidet, und machte mich hungrig über mein Abendessen her. Als später die Temperatur sank und ich die Kälte spürte, meldete ich mich über Funk im Basislager. Die Sherpas sollten morgen noch zusätzlich Seile heraufbringen. Dann zog ich den Reißverschluß meines Schlafsacks zu und schlief sofort ein. Bookreevs erste Nacht über 7000 Meter war unruhiger als in Lager II. Er erwachte abgeschlagen und matt, was während der Akklimatisation beim Aufstieg in größere Höhen nichts Ungewöhnliches ist. Noch in seinem warmen Schlafsack steckend, hörte er Sherpas vorbeigehen, die mit einem Seilvorrat hinauf zum Gelben Band stiegen. Da er sich nach dem schweren Arbeitstag noch immer nicht ganz erholt hatte, kämpfte er eine halbe Stunde gegen das Verlangen an, in seinem Schlafsack zu bleiben. Schließlich kroch er doch aus dem Zelt und sicherte sich an dem wenig mehr als einen Schritt vom Eingang entfernten Fixseil.
Im Aufsteigen überprüfte ich die Arbeit vom Vortag und vergewisserte mich, daß sich die Sicherungen nicht gelockert und die Knoten nicht gelöst hatten. Ich entfernte auch ein paar alte Seile, die noch an den Verankerungen hingen, die wir benutzten. Ich wollte verhindern, daß sich jemand irrtümlich an einem alten, womöglich brüchigen oder schlecht verankerten Seil sicherte. Ang Dorje arbeitete als erster in der Reihe. Gemeinsam versicherten wir die Route bis unterhalb des Gelben Bandes, legten dann eine Rast ein und aßen etwas.
Während Boukreev heißen Tee aus seiner Thermosflasche trank, beobachtete er, wie die Sherpas alte Fixseile aus dem Schnee zogen und sie begutachteten. Die noch brauchbaren nahmen sie und stiegen damit höher, um sie zusammen mit den neuen Seilen entlang der Strecke anzubringen. Nach einer kurzen Rast folgte Boukreev den Sherpas und überprüfte auf dem Weg zum Südsattel sämtliche Fixseile.
Auf 7800 Meter Höhe, an einer Stelle, an der der Aufstieg zum Südsattel ein wenig flacher wurde, sah ich, daß die Sherpas, die vor mir gingen, umdrehten. Auf meine Frage, wie es ihnen ginge, sagten sie »gut«. Sie müßten sich aber beeilen, um vor Einbruch der Dunkelheit Lager II zu erreichen. Ich wollte noch eine Nacht in Lager III verbringen, hatte daher keinen so langen Abstieg vor mir und ging weiter aufwärts, um einen Standplatz für Lager IV zu suchen und dort ein mitgebrachtes Zelt zu deponieren. Auf dem Südsattel blies ein starker, gleichmäßiger Wind. Da ich untertags keine Anzeichen einer Wetterverschlechterung beobachtet hatte und kein Unwetter drohte, nahm ich mir die Zeit, einen Platz zu suchen, von dem aus wir die letzte Etappe zum Gipfel in Angriff nehmen würden.
Nachdem er einen Standort für Lager IV gefunden und zum Lager III abgestiegen war, war Boukreev erleichtert: Fünf von Fischers acht Kunden, nämlich Lene Gammelgaard, Klev Schoening, Martin Adams, Sandy Hill Pittman und Dale Kruse waren während seiner Abwesenheit eingetroffen. Die Gruppe machte nach dem Aufstieg von Lager II nach Lager III einen guten Eindruck. Seine erste Nacht in dieser Höhe hatte ihn aber gelehrt, daß sich das oft ganz überraschend ändern konnte.
Am nächsten Morgen (28. April) standen wir alle gegen acht Uhr auf, als die ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf unsere Zelte fielen. Über Funk wurden wir informiert, daß Scott und Neal zum Lager II aufgebrochen waren und zur Akklimatisation bis zum Lager III aufsteigen
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