Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
hatte nichts Gutes zu berichten. Ngawang Topche, der sechs Tage zuvor per Hubschrauber von Pheriche nach Kathmandu transportiert worden war, lag im Koma. Er hatte eine schwere Gehirnschädigung davongetragen. Falls er überlebte, würde, wie Fischer bereits befürchtet hatte, sich eine langwierige Behandlung anschließen.
Nachdem ich die Tragödie unseres Hochträgers erfahren und Ingrid sowie einige Bekannte von Himalayan Guides, besucht hatte, die vom Basislager gekommen waren, setzte ich meinen Abstieg fort. Gegen Mittag erreichte ich das Ama Dablam Garden Lodge in Deboche (3770 Meter), einem Dorf an der Waldgrenze gelegen.
Boukreev hielt sich nun zwei Tage lang in Deboche an eine einfache Regel: Ausruhen mit sparsamer Bewegung und die »Mattigkeit des Organismus« und die »gesättigte Luft« genießen.
Ich war sicher, daß ich dank meines Ruhe- und Erholungsplans wieder zu Kräften kommen und mir die Reserven schaffen würde, die ich für den Gipfelvorstoß mit den Kunden brauchte. Ich tat alles, um meinen Körper auf dieses Ziel vorzubereiten. Es war bedauerlich, daß Scott meinen Plan nicht auch für sich, Neal und unsere Kunden übernommen hatte, und hoffte, daß die Ruhepause im Basislager ausreichen würde.
Am Nachmittag des 4. Mai machte sich Boukreev, der sich »bemerkenswert erholt« fühlte, um sechzehn Uhr auf den Weg zurück ins Basislager. Nach einer kurzen Unterbrechung in Pheriche, wo er sich in einem Sherpa-Teehaus mit Tee und Bratkartoffeln stärkte, ging er weiter und kam gegen Mitternacht an. Während er sich zwischen den Zelten der verschiedenen Expeditionen hindurchtastete, drangen Gesprächsfetzen an sein Ohr, und er sah im Mondschein da und dort eine Gestalt. Bei den Mountain-Madness-Zelten herrschte Stille. Kein einziges Licht brannte. Sogar Sandys Kommunikationszelt war dunkel. Im Essenszelt fand Boukreev eine Thermosflasche mit Tee und goß sich eine Tasse davon ein. Von Deboche bis zum Basislager war die Temperatur um mindestens vierzig Grad gefallen.
Beim Erwachen am Morgen des 5. Mai hörte Boukreev die vertrauten Stimmen der Gruppe. Es fehlte nur der unverkennbare Ton und der Husten Sandy Hill Pittmans, die, wie Boukreev später erfahren sollte, abgestiegen war, während er sich in Deboche aufhielt.
Am 4. Mai, einem Samstag, hatte ein Sherpa-Läufer die Nachricht überbracht, drei Freundinnen Sandys seien bis Pheriche getreckt und wollten sie treffen. Darauf hatte sie sich mit drei Sherpas, von denen einer ihr Satellitentelefon mitschleppte, auf den Weg ins Tal gemacht.
Ich staunte nicht schlecht, daß jemand mit ihrer Erfahrung sich so verhalten konnte. Gewiß, sie war eine geübte Bergsteigerin, aber ich war der Meinung, daß ihr rascher Abstieg so knapp vor dem Gipfelvorstoß recht unvernünftig war. Eine längere Ruhepause hätte sich günstig ausgewirkt, während dieses rasche Rauf und Runter sie viel Energie kosten würde.
Bis auf Sandy hielten sich alle Kunden am 5. Mai im Basislager auf. Sie war noch nicht zurück, da Fischer vor ihrem Abstieg angekündigt hatte, daß die Expedition erst am 6. zum Gipfel aufbrechen würde. Adams, der nach Pheriche abgestiegen war, aber Bourkeev dort verfehlt hatte, sah gut und ausgeruht aus. Charlotte Fox und Tim Madsen waren einigermaßen erholt, aber Boukreev machte sich Sorgen um ihre Akklimatisation. Erst in extremer Höhe würde sich zeigen, wie es wirklich um sie stand.
Die anderen waren weder besser noch schlechter dran, als zu erwarten war, aber Fischer kämpfte mit Problemen.
Scott hatte während der Ruhephase mit Neal den Pumori bestiegen, um dort Fotos zu schießen. Eine unnötige Energievergeudung in Anbetracht des Plans, an den Scott sich hielt. Meine Besorgnis wuchs, als ich hörte, daß Scott sich nicht wohlgefühlt hatte und Antibiotika nahm. Ich weiß zwar nicht, ob etwas gegen die Einnahme von Antibiotika vor einer großen Bergtour spricht, habe aber vor einem solchen Kraftakt selbst nie welche genommen – übrigens auch keine anderen Medikamente. Ich möchte immer wissen, wie mein Körper reagiert, und lasse nicht zu, daß Medikamente irgendein Körpersignal verfälschen können.
Sandy Pittman, die am Abend zuvor ins Basislager zurückgekehrt war, machte sich am 6. Mai bereits um fünf Uhr morgens an die Arbeit. Sie stellte eine Satellitenverbindung mit NBC her und schilderte für die Welt der Internet-Surfer die Ereignisse der letzten Tage im Tal in enthusiastischem Ton, wenn
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