Der Gipfel
Flexibilität in den Plan einzubauen, obwohl sie hofften, alle würden annähernd gleichzeitig die angestrebte Gewöhnung erreichen.
8. Kapitel Über den Khumbu-Eisbruch zum Lager II
Am 11. April kroch die Mountain-Madness-Gruppe vor Tagesanbruch aus ihren Zelten und begann mit den Vorbereitungen für die Erkundung des Khumbu-Eisbruchs. Boukreev erinnerte sich, daß der Tag, den Fischer für diese erste durch gehende Tour gewählt hatte, von verheißungsvoller Klarheit war, ideal für einen Gipfelaufstieg, da das Wetter schon tage lang stabil und der Wind nur mäßig war.
Wie die Bedingungen auf dem Berg sein würden, wenn Fischers Gruppe sich endlich akklimatisiert hatte, war ungewiß. Das Wetter in den Himalaja-Bergen läßt sich ebensowenig vorhersagen wie das Verhalten der Menschen, die sie besteigen. Es war möglich, daß der Everest bereit sein würde, wenn seine Bezwinger es nicht waren. Trat dieser Fall ein, war der finanzielle Einsatz verloren. Alle würden den Heimflug ohne den Gipfel antreten müssen.
Der Großteil der Teilnehmer hatte auf den geringen Höhenunterschied zwischen Gorak Shep und Basislager nicht sonderlich empfindlich reagiert. Ihre Atemfrequenz in Ruhestellung war wieder normal, aber jede Anstrengung führte sofort zu beklemmender Atemnot. Eine Teilnehmerin sagte, daß sie im Basislager, wo der Sauerstoffgehalt der Luft nur halb so groß ist wie auf Meereshöhe, das Gefühl hätte, nur eine Lunge zu haben und sich wie in einem leichten Rausch zu bewegen.
Einige hatten noch mit Übelkeit und Kopfschmerzen zu kämpfen, aber niemand beklagte sich besonders, weil jeder einen möglichst vorteilhaften Eindruck erwecken wollte. Keiner wollte sagen, »daß er sich beschissen fühlte«, wie ein Basislagerbewohner die Situation treffend schilderte.
Fischer selbst, der seinen Team-Mitgliedern predigte: »Es ist die Einstellung, und nicht die Höhe«, wirkte kräftig und gesund und schien keine Probleme zu haben. Jane Bromet sah es anders. Der äußere Eindruck hätte über Fischers wahre Verfassung hinweggetäuscht. »Am Morgen brauchte er nach dem Erwachen an die fünf Minuten, um endlich auf die Beine zu kommen. Scott war fix und fertig.« Weiter sagte sie, daß er Diamox nahm, 125 Milligramm täglich, um seine Akklimatisation zu beschleunigen. 19
Für Beidleman und alle Kunden mit Ausnahme Sandy Hill Pittmans war es die erste Durchsteigung des Eisbruchs. So locker und entspannt sich alle auch gaben, die meisten kannten die Geschichte des Hindernisses, das nun vor ihnen lag: Seit Beginn der Zählung waren neunzehn Menschen im Eisbruch umgekommen.
Der Eisbruch, eine bedrohliche, von spitzen Zacken starrende blaue Eismasse auf einem zum Everest-Basislager abfallenden Hang, ist in ständiger Bewegung. Von der Schwerkraft nach unten gezogen, zerbricht und zerbirst das Eis in einzelne Teile und bildet turmartige, Seracs genannte Pfeiler, manche höher als zehnstöckige Häuser. Diese Seracs werden von einem Netzwerk aus Rissen und Spalten durchzogen, die über hundert Meter tief reichen können.
Um den Eisbruch hinter sich zu bringen und zum Lager II auf 6100 Meter zu gelangen, muß man etwa siebenhundert Höhenmeter über eine Distanz von 1500 Meter überwinden. Als Hilfestellung für die Bergsteiger wird der Eisbruch vor jeder Klettersaison von einem Trupp Sherpas versichert. Im März 1996 bekamen sie Hilfe von Henry Todd und dem Briten Mal Duff, wie Todd Führer einer kommerziellen Expedition.
Der »Eisbruch-Doktor«, wie der Anführer der Sherpas im Basislager genannt wird, überwacht die gefahrvolle Arbeit. Aluminiumleitern werden angebracht, vertikale für den Auf stieg, horizontale zur Überbrückung der Spalten, von denen manche so breit klaffen, daß drei oder vier Leitern nötig sind, die mit den überstehenden Enden aneinandergelegt und mit Seilen festgezurrt werden. Die Leistung des Kletterers besteht nun darin, die Leitern zu überqueren, während er an Fixseilen, Seilgeländern, gesichert ist. Das Sichern geschieht meist mittels eines Karabiners, der an einer am Klettergürtel befestigten Reepschnur festgemacht wird. Den Karabiner, ein ovaler oder D-förmiger, kettengliedartiger Leichtmetallring, kann man auf- und zuschnappen lassen und hängt sich damit an einem Seil ein bzw. aus. Seltener und vor allem bei vertikalen Auf stiegen wird die Jümar-Steigklemme angewendet, ein Metallring mit automatischem Schließmechanismus, den man in der Hand hält. Das Fixseil gleitet durch den
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