Der Gipfel
beruhten, beide kämpften um dasselbe. Freundinnen oder nicht, sie steckten bis zu ihren Gletscherbrillen in der Sache drin und arbeiteten mit vereinten Kräften auf ihr Ziel hin.
Am nächsten Morgen stiegen Boukreev und andere Expeditionsteilnehmer entlang dem Western Cwm auf die Höhe von Lager II auf, während die anderen unverzüglich zum Basislager hinuntergingen. Zum Abendessen waren alle wieder wohlbehalten vereint.
Am 15. und am 16. April nahmen die Kletterer ihre Steigeisen ab und genossen die Ruhepause in vollen Zügen. Pfannkuchen, Yak-Käse-Omelettes und Starbucks-Kaffee, heiße Duschen, Sonnenbaden, die Lektüre eines Lieblingsbuches, ein Film auf dem Sony Watchman – das war das Programm des Akklimatisationsplanes an diesen zwei Tagen. Am 17. April war wieder Klettern angesagt.
Alle Expeditionsteilnehmer mit Ausnahme von Sandy und Tim brachen sehr zeitig zu unserer dritten Tour auf den KhumbuEisbruch auf. Scott und ich hatten das Gefühl, unsere Leute wären nun imstande, es ohne ständige Aufsicht zu schaffen. Sandy blieb unten, weil sie in ihrem Nachrichtenzelt zu tun hatte. Tim, der an Höhenkrankheit litt, war am Tag zuvor mit unserer Expeditionsärztin Ingrid, die ebenfalls Probleme hatte, nach Pheriche abgestiegen. Für mich keine Überraschung, da beide noch nie auf so großer Höhe gewesen waren und die Strapaze nicht verkrafteten.
Trotz Jane Bromets Befürchtungen, wie Fischer wohl in Sandy Pittmans Internet-Berichten wegkommen würde, machte er weiterhin bei der NBC Worldwide Web Site mit und verbrachte am Morgen des dritten Aufstiegs über eine Stunde im Nachrichtenzelt. Er nahm an einem Internet-Gespräch Sandys mit Sir Edmund Hillary teil, der sich gerade in Kathmandu aufhielt. Trotz seiner bekannt kritischen Haltung gegenüber kommerziellen Expeditionen auf den Everest und seiner oft geäußerten Meinung, sie seien der Würde des Berges abträglich, hatte er sich zu dem Gespräch bereiterklärt und sparte auch nicht mit guten Ratschlägen. »Für jede Expedition gilt, daß sie den Berg mit großer Besonnenheit in Angriff nehmen muß. Sobald einem Bergsteiger die Höhe zu schaffen macht, muß er absteigen und sich erholen. Ein Erfolg am Everest erfordert nun einmal einen gewissen Grad an körperlicher Fitness.«
Während Sandy sich ausblendete und anderen Kommunikationsaufgaben widmete, machten sich Fischer und Boukreev auf den Weg, um Aufräumungsarbeiten zu leisten, indem sie Nachzügler antrieben und ihnen weiterhalfen.
Boukreev schätzte, daß an diesem Tag über hundert Kletterer den Gletscherbruch passierten. Sherpas verschiedener Expeditionen, bepackt mit Ausrüstung und Proviant, kämpften sich aufwärts, um Höhenlager zu errichten. Wie Fischers Kunden waren auch die Kletterer anderer Expeditionen unterwegs, um ihre Akklimatisationstouren zu absolvieren.
Unterwegs zum Lager I nahmen Scott und ich die Teilnehmer einiger anderer kommerzieller Expeditionen in Augenschein. Wir waren uns einig, daß im Vergleich zu ihnen unsere Gruppe viel besser abschnitt. Doch fiel mir auf, daß das Niveau der Teilnehmer aller kommerziell geführten Gruppen – unsere eingeschlossen – insgesamt niedriger war als das jener, die im Jahr zuvor von der tibetischen Seite her gekommen waren. Mit Glück können wir es schaffen, dachte ich. Scott, Neal und ich würden den Aufstieg so planen müssen, daß alle Teilnehmer, die sich für den Gipfel qualifiziert hatten, sich zum richtigen Zeitpunkt für einen Versuch in Lager IV befanden. Und auch dann kam es aufs Wetter an. Wir Bergführer konnten niemanden gegen die Gefahren von Stürmen oder anderen dramatischen Wetterunbilden schützen. Falls wir mit unserem Timing Pech hatten, blieb uns nichts anderes übrig, als abzusteigen und alles zu überdenken.
Ehrgeiz, Zeit und Kraft vorausgesetzt, konnten wir eine günstigere Situation abwarten und einen neuen Versuch wagen. Wie aber würde es dann um die Kondition der Leute und um unseren Sauerstoffvorrat bestellt sein? Ich bezweifle, ob die Kraft der meisten ausreichte, um in großer Höhe auf besseres Wetter zu warten. Und ich wußte nicht, ob wir genügend Sauerstoff für einen zweiten Versuch haben würden, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war. Ich wußte nur, daß uns der Berg viele Entscheidungen abnehmen würde.
Falls es für Boukreev einen Tag der Einsicht gab, war es vermutlich dieser. Als Fischer in der Reihe zurückblieb, um nach Sandy Pittman zu sehen, die hinter ihnen aufstieg,
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