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Der Gipfel

Der Gipfel

Titel: Der Gipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston DeWalt
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Überanzüge. Vor wenigen Stunden hatte man noch in Hemdsärmeln gehen können, und nun zwängten sich Kunden und Führer von Mountain Madness unter akrobatischen Verrenkungen in Daunen und Gore-Tex, um für den Sprint zum Essenszelt und die erste Nacht in Lager II gerüstet zu sein.
    Von nun an würde man nicht mehr in Lager I übernachten. Die meisten Zelte waren abgebaut, und in den wenigen, die noch standen, waren Ausrüstung und Vorräte untergebracht. Auf dieses Depot konnten die Sherpas zur Versorgung der Hochlager zurückgreifen, beziehen konnte man diese Vorrats zelte aber nur im Notfall.

    Während die Sherpas im nahegelegenen Küchenzelt ein Abendessen aus Reis und Linsen zubereiteten, setzten sich Neal, ich und alle Team-Mitglieder bis auf Pete Schoening, der mit Scott Fischer zum Basislager abgestiegen war, hungrig und mit ihrer Tagesleistung zufrieden um den Tisch im Essenszelt. In ihren unförmigen Kleidungsstücken sahen sie richtig »arktisch« aus. Martin Adams, mit dem ich immer herumalberte, da wir einander von früher kannten, kam in einem neuen grünen Kletteranzug an den Tisch, und ich empfing ihn mit »He, du Krokodil!« Da mein Englisch noch immer mangelhaft war, hoffte ich, man würde meine scherzhaft gemeinte Bemerkung nicht als Beleidigung auffassen, aber Martin und ein paar andere lachten. Als ich sah, daß gute Stimmung herrschte und alle sich wohlfühlten, fragte ich Neal, was für den nächsten Tag geplant sei. Ich hatte nämlich einen Vorschlag parat: nach einem zeitigen Frühstück ein Anstieg auf 6800 Meter, zur Lhotse-Flanke, wo die Seilversicherungen begannen.

    Beidleman und Boukreev besprachen diese Idee mit der Gruppe und arbeiteten gemeinsam einen Plan aus. Man wollte so früh aufbrechen, daß man mittags rechtzeitig zum Essen und Ausruhen in Lager II zurück sein würde und noch vor Einbruch der Dunkelheit im Basislager ankäme.
    Nun wandte Boukreev sich mit einem zweiten Vorschlag an Beidleman. »Als wir gestern ankamen, sah ich, daß die Sherpas Fixseile bis Lager III anbrachten. Warum steigen wir jetzt nicht ein Stück auf und nehmen ein paar Seillängen mit?« Beidleman war einverstanden. Er fühle sich so fabelhaft, daß er sogar bis zum Lager IV aufsteigen könne, meinte er.

    Wieder einmal besprachen wir mit unserer Gruppe die Notwendigkeit einer optimalen Akklimatisation und ermahnten sie, ihre körperliche Verfassung genau zu überwachen und ständig daran zu denken, daß sich in großer Höhe ungewohnte Gefühle und Reaktionen einstellen können. Als Führer konnten wir sie zwar beobachten, wie es aber wirklich um einen bestellt war, wußte nur jeder selbst. Nun kam es also auf Offenheit und Kommunikation an. Erste Symptome von Höhenkrankheit werden selbst von erfahrensten Bergsteigern oft nur als übliche Akklimatisationsprobleme mißdeutet – eine Fehleinschätzung, die tödlich enden kann. Immer wieder betonten wir, wie wichtig eine Kraftreserve war. Man darf sich nicht total verausgaben und muß den Satz »Ich kann nicht mehr« wörtlich nehmen. Wenn man nicht kann, dann soll man auch nicht. Dann heißt es stehen bleiben, umkehren und sein Leben retten.

    Nach dem Abendessen nahmen wir Funkverbindung mit Fischer auf, der mit Pete Schoening noch immer im Basislager war, und besprachen mit ihm die Akklimatisations-Tour für den nächsten Tag. Anschließend diktierte Sandy Pittman ihren Tagesbericht für NBC an Fischer, der ihren Text per Satellitentelefon an NBC in New York weitergab, wo Sandys Stimme »fast hörbar« war, Fischers jedoch »laut und klar«. In New York wurde die Nachricht eingegeben, digitalisiert und dann in die NBC World Wide Web Site eingespeist, damit Tausende elektronisch vernetzter Everest-Fans das Allerneueste erfahren konnten: »Wir haben uns hier mit Vorräten und unseren tüchtigen Sherpas gut eingerichtet.« Aus dem Mund eines Bwanas der Kolonialzeit hätte es auch nicht anders geklungen.

    Am nächsten Morgen war vom Elan des Vortags bei den meisten nichts mehr zu spüren, und auch die Gespräche beim Frühstück klangen nicht mehr so lustig und angeregt wie beim Abendessen. Die Höhendifferenz von Lager I zu Lager II machte sich bemerkbar. Da wir aber die allgemeine Schlappheit nur für ein Symptom der üblichen körperlichen Anpassungsschwierigkeiten hielten, waren Neal und ich der Meinung, unsere Gruppe sei fit für den geplanten Aufstieg.

    Boukreev und Beidleman packten je ein Seil in ihre Rucksäcke und machten sich mit der

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