Der Gipfel
angebrachten Fixpunkten.
Kurz nachdem ich das obere Ende des Hillary Step erreicht hatte und das Seil festmachte, kam Neal herauf, und ihm folgten Andy Harris, einer von Rob Halls Führern, sowie Jon Krakauer, einer von Halls stärkeren Kunden.
Um mit der Arbeit schneller voranzukommen, hatte es Boukreev den hinter ihm Kommenden überlassen, ein Stück der Route unterhalb des Hillary Step für die Kunden zu sichern, aber Harris war mit Krakauer weitergegangen und hatte keine Seile angebracht. Adams sollte diesen Abschnitt später als »den am stärksten ausgesetzten Teil der Strecke« bezeichnen, »auf dem man im Alleingang eine recht heikle Querung hinter sich bringen mußte, auf der ein Fehltritt tödlich sein konnte.«
Am oberen Ende des Hillary Step zog Krakauer eine Seilrolle heraus, die ihm Ang Dorje am Südgipfel gegeben hatte, und man besprach das weitere Vorgehen. Oberhalb des Hillary Step steigt der Südostgrat über ein leicht buckliges Schneefeld an, und da der Wind inzwischen stärker geworden war, wollte man eine weitere Seillänge anbringen. Boukreev, der sah, daß etliche an der Arbeit waren, entschloß sich wie schon vorher, weiterzugehen und eine Spur zu treten.
Boukreev stieg also voraus. Der wegen seines schwinden den Sauerstoffvorrats besorgte Krakauer fragte Beidleman, ob er etwas dagegen hätte, wenn er »zum Gipfel vorauseilte« und ihm das Anbringen des Seils überließe. Beidleman war einverstanden. »Ich sagte, gut. Dann rollte ich das Seil ab. Martin (Adams) war unter mir. Ich fragte ihn, ob er mir helfen wolle, das Seil auszugeben und das Ende zu befestigen, was er auch tat. Ich ging los. Nach knapp zehn Metern verfing sich das Seil im Fels. Martin half mir, es loszumachen. Ich stieg weiter bis zu einer Orientierungsstange und band das Seil los. Von dort ging ich die restlichen vierzig oder fünfzig Meter, um die Seile festzumachen, fand aber keine Verankerungsmöglichkeit.«
Beidleman konnte keinen Fixpunkt finden. Da er das Seil nicht lose auf dem Schnee liegen lassen wollte, damit sich niemand daran sicherte, in der Annahme, es sei irgendwo weiter oben befestigt, warf Beidleman es in Richtung Tibet hinunter. Nicht einmal die Hälfte der Strecke, die man hätte versichern müssen, war geschafft.
Um dreizehn Uhr sieben erreichte Boukreev den Gipfel des Mount Everest, nicht so sehr hochgestimmt, als vielmehr erleichtert. Sein Ziel war es gewesen, möglichst früh auf dem Gipfel zu stehen, um die Kunden unter Sauerstoff ins Lager IV zurückzubringen. Obwohl sieben nach eins viel später als erhofft war, würde man es schaffen, wenn die Leute jetzt rasch hintereinander ankämen. Es war knapp, aber noch möglich. Und selbst wenn einigen kurz vor Lager IV der Sauerstoff ausginge, war das nicht unbedingt eine Katastrophe, weil man beim Abstieg eine gewisse Strecke ohne Sauerstoff zurücklegen kann. Trotzdem ist es ein Lotteriespiel, wie weit man kommt.
Um dreizehn Uhr zwölf kam Krakauer, der in Boukreevs Spur gegangen war, am Gipfel an, kurz darauf gefolgt von Harris. Beidleman, der hinter Harris aufstieg, »war ein wenig langsam unterwegs«, wie Adams auffiel. »Er bat mich, ihm seine Sauerstoffflasche aufzudrehen, und das tat ich. Dann gingen wir weiter zum Gipfel. Als wir fast da waren, bat er mich wieder, das Ding noch weiter aufzudrehen, und so drehte ich es ganz auf.«
Um dreizehn Uhr fünfundzwanzig erreichten Beidleman und Adams den Gipfel, nachdem sie Krakauer und Harris, die bereits abstiegen, passiert hatten. Krakauer, dem sein Sauerstoffvorrat Sorgen machte, hatte sich zu einem raschen Abstieg entschlossen. Anders als Beidleman war er erst bei seiner zweiten Flasche angelangt und wollte seinen Vorrat und sein Glück nicht über Gebühr beanspruchen.
Um dreizehn Uhr fünfundvierzig überwand Klev Schoening die letzte Steigung vor dem Gipfel, und Boukreev machte ein Foto. Die Hände in Siegerpose erhoben, näherte er sich dem Dreifuß aus Aluminium, der den eigentlichen Gipfel markiert, und brach in Tränen aus.
Nach Schoenings Gipfelsieg trat Stillstand ein. Um vierzehn Uhr tauchten keine Köpfe mehr über dem letzten Grat zum Gipfelanstieg auf, und Boukreev wurde zunehmend besorgt.
Alle aus unserem Team, die ich auf dem Gipfel sah, machten einen guten Eindruck und schienen in keiner Weise gefährdet. Ihretwegen machte ich mir also keine Sorgen, aber allmählich drängte sich mir die Frage auf: »Wo sind die anderen?« Seit Klevs Ankunft war über eine Viertelstunde
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