Der Gipfel
vergangen, und es sah aus, als würde niemand mehr kommen.
Aber sie kamen, und unten in Lager II, wo sich verschiedene andere Expeditionen auf ihren Gipfelvorstoß in den nächsten Tagen vorbereiteten, wuchs die Sorge. Ed Viesturs von der IMAX/IWERKS-Expedition und einige andere, die die Klette rer durch ein Teleobjektiv verfolgten und die Aufstiegsroute vom Südgipfel zum Hillary Step im Blick hatten, sahen, daß noch um vierzehn Uhr Leute aufstiegen. »Wir sahen, wie sie dastanden und sich nur ganz langsam weiterbewegten. Und wir sahen auch die Wolkenstreifen über dem Gipfel, und ich sagte noch: ›O Gott, es ist viel zu spät, die lassen es wirklich drauf ankommen.‹ Nicht nur die Zeit wurde knapp, sondern auch der Sauerstoff – der Vorrat reichte nur für achtzehn Stunden. Wenn man davon ausgeht, daß man zwölf Stunden zum Gipfel braucht, bleiben einem sechs Stunden für den Abstieg. Ich dachte mir: ›Denen wird der Sauerstoff ausgehen, nicht nur das Tageslicht, sondern auch der Sauerstoff.‹« In Lager II beobachteten auch Henry Todd von Himalayan-Guides, einige seiner Mitarbeiter, Mal Duff und ein paar andere, insgesamt über zwanzig Personen, die Kletterer ober halb des Südgipfels. Und noch während sie deren Aufstieg verfolgten und wie Ed Viesturs die Verspätung diskutierten, gerieten die Sherpas in helle Aufregung »und spielten verrückt wegen des Sterns«, wie Todd sagte. Er selbst sah zuerst gar nicht, wovon die Rede war. Dann zeigte man ihm den Stern, mitten am hellichten Tag über dem Südgipfel. »Keine Rede davon, daß ich gesponnen hätte. Ich habe ihn gesehen.« 25
»Das ist nicht gut, das ist nicht gut«, riefen die Sherpas immer wieder, und Todd mußte ihnen rechtgeben. Er schnappte sich ein Funkgerät und nahm Kontakt mit Rob Halls Basislager auf. »Wann ist eure Umkehrzeit?« fragte er. »Vierzehn Uhr«, lautete die Antwort.
Todd, der über einige Expeditionserfahrung verfügte, konnte sich vorstellen, welche Stimmung dort oben herrschte. »Man ist absolut bescheuert. Man kann nicht mehr logisch denken. Man glaubt, daß man es schafft.«
Adams war wie Krakauer klar, daß er an geborgter Luft hing, und blieb deshalb nicht lange auf dem Gipfel. »Wenn ich mich recht erinnere, saß ich zehn, fünfzehn Minuten da, schoß mit Tolis Kamera ein paar Fotos, und Neal fotografierte uns beide mit der kasachischen Flagge zwischen uns. Dann sagte ich: ›He, Jungs, ich mache mich auf den Weg.‹ Dann stand ich auf und ging los.« Kurz nach Adams folgten auch Boukreev und dann Schoening.
Ich blieb etwa eine Stunde auf dem Gipfel. Weder Neal noch ich hatten ein Funkgerät dabei, so daß wir keine Ahnung hatten, was weiter unten los war. Ich vermutete, daß es am Hillary Step Probleme gab, und wollte hinunter. Um vierzehn Uhr, vielleicht auch ein wenig später, verließ ich den Gipfel und hob als Andenken ein paar Steinbrocken auf. Dabei fiel mein Blick auf eine indische Fünf-Rupien-Münze. »Ein Glücksbringer«, dachte ich, und steckte sie in die Tasche.
25 Zum Auftauchen dieses »Sterns« befragte Astronomen geben an, daß an jenem Tag um diese Zeit in diesem Himmelsquadranten kein Himmelskörper zu sehen war. Der Komet Hyakutake war längst außer Sicht.
16. Kapitel Entscheidung und Abstieg
Während Adams sich beim Abstieg dem oberen Ende des Hillary Step näherte, passierte ihn eine ganze Kette von Berg steigern, unter ihnen einige von Halls Leuten, die restlichen Mountain-Madness-Teilnehmer – Charlotte Fox, Lene Gammelgaard, Sandy Hill Pittman, Tim Madsen – und vier Sherpas dieser Gruppe, darunter Lopsang Jangbu. Adams weiß noch, daß wenig gesprochen wurde, als man aneinander vorbeistieg. So knapp vor dem Ziel hatten alle auf Automatik geschaltet.
Kurz nachdem ich meinen Abstieg begonnen hatte, sah ich eine Gruppe dicht hintereinander auf den Gipfel zukommen, und in einigem Abstand vor ihnen gingen zwei Leute, von denen ich einen als Scott zu erkennen glaubte. Weil ich unbedingt wissen wollte, wie es stand und wie es weitergehen sollte, näherte ich mich ihm und redete ihn an. Nun erst merkte ich, daß es ein Irrtum war und daß ich mit Rob Hall sprach, der mit einem seiner Kunden zum Gipfel wollte. Ich fragte ihn, wie es ihm ginge, ob er Hilfe brauche, da ich absteigen wolle, und er sagte, allen ginge es gut, niemand brauche Hilfe. Dann bedankte er sich noch für meine Arbeit an den Fixseilen.
Nach meinem Zusammentreffen mit Rob sah ich, daß nun unsere Leute in dichtem
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