Der Gipfel
Abstand heraufkamen. Meine Erleichterung wurde von dem Wissen überschattet, daß die meisten schon vierzehn Stunden unterwegs waren und ihr Sauerstoffvorrat nur für achtzehn Stunden reichte. Bei korrektem Verbrauch hatten sie jetzt noch Sauerstoff für vier Stunden, aber bis zum Gipfel waren es dreißig Minuten. Mir war klar, daß ihnen vielleicht nicht genügend Sauerstoff für den Abstieg zum Lager IV blieb.
Etwa drei bis vier Meter vom oberen Ende des Hillary Step entfernt stieß Adams auf Harris und Krakauer, die »offenbar ihren Spaß hatten, lachten, feierten und völlig unbekümmert waren«. Aber Adams blieb nicht stehen, um mitzumachen. »Mir war nicht danach zumute, deshalb ging ich zu der Stelle weiter, wo am Hillary Step die Fixseile begannen.« Adams dachte nur an den Abstieg und an sonst gar nichts. Den ganzen Tag hatte es eine Verspätung nach der anderen gegeben, als er sich an den langsameren Kletterern vorbei hatte hinauf kämpfen müssen. Jetzt war er in der Position, als erster abzusteigen, und das wollte er ausnützen.
Als er sich ins Fixseil einhängte um über den Hillary Step abzuklettern, warf Adams einen Blick über die Kante, um zu sehen, ob die Route frei war. »Ich schaue hinunter«, sagte er »sehe drei Leute aufsteigen und denke: ›Mann, wieder eine Verspätung!‹ Dann sehe ich erst richtig, wer das ist: als erster ein Sherpa, dann Makalu Gau und als letzter Scott Fischer. Da staunte ich nicht schlecht. Den ganzen Tag über hatte ich keinen Gedanken an Fischer verschwendet oder mich gefragt, wo er steckt, und da ist er nun, und ich fasse es nicht. Ich denke sofort, daß das ein Problem bedeuten könnte. Er hätte nicht hier sein sollen.«
Als Adams hinunterschaute, blickte Fischer hinauf, schob seinen Jümar am Fixseil weiter und rief ihm zu: »He, Martin, glaubst du, daß du den Everest schaffst?« Adams sagte, es hätte sich angehört, als dächte Fischer, daß er (Adams) erst zum Gipfel müßte, und daß er ihm »Mut machen wollte, so in der Art ›He, Kumpel, reiß dich zusammen.‹« Aber Adams antwortet: »Schon geschafft!«
Da er sah, daß der Sherpa und Makalu Gau sehr langsam vorankamen, riet Adams Fischer, er solle versuchen, die bei den zu umgehen, auf eine parallel zum Fixseil verlaufende Felsrippe auszuweichen und frei zu klettern. »Ein bißchen Technik war da schon gefragt, aber ich dachte, er könnte es schaffen und Zeit gewinnen.«
Fischer ging auf die Rippe zu und überprüfte die Alternative, zu der Adams ihn überreden wollte, hielt sich dann aber doch lieber an das Fixseil. »Vielleicht war ihm die Stelle zu ausgesetzt. Ich weiß es nicht. Wie auch immer, er blieb, wo er war. Vermutlich die richtige Entscheidung.«
Während Adams bemüht war, Fischer zum schnelleren Klettern zu bewegen, stieg Boukreev an Harris und Krakauer vorüber ab und setzte sich direkt über Adams auf einen Fels block. Während er wartete, sah er zum Himmel, um festzustel len, wie sich das Wetter entwickelte. Ihm fiel auf, daß es sich bewölkt hatte und daß ein kalter Wind wehte, aber nichts deutete auf eine bedrohliche Situation hin.
Während Boukreev und Adams am Hillary Step warteten, war Beidleman am Gipfel, »sehr nervös und angespannt«, wie er sagte. »Eigentlich wollte ich schon viel früher absteigen, mit Martin oder mit Klev, aber immer wenn ich aufstand und losgehen wollte, kamen wieder einer oder mehrere über den Grat, darunter auch unsere Leute. Ich wunderte mich sehr, daß sie immer noch aufstiegen, denn ich hatte angenommen, sie wären aus eigenem Antrieb oder auf fremden Rat hin umgekehrt. Jetzt hatte ich das Gefühl, es wäre nicht richtig, wenn ich schon ginge, ehe nicht jeder den Gipfel erreicht hatte. Sie waren ja so nahe.«
Zwischen vierzehn Uhr fünfzehn und vierzehn Uhr dreißig hatten die vier Mountain-Madness-Kletterer, an denen Adams und Boukreev bei ihrem Abstieg vorbeigekommen waren – Madsen, Fox, Gammelgaard und Pittman – und Lopsang Jangbu den Gipfel geschafft. Für Sandy Pittman waren die letzten Meter die schwierigsten des Tages. Während sie auf den Aluminium-Dreifuß zutaumelte, der den Gipfel bezeichnet, entströmte ihrer dritten Flasche, die sie am Südgipfel bekommen hatte, der letzte Sauerstoff. Vermutlich hatte sie ihn rascher verbraucht als vorgesehen. Zum Glück bemerkte Lopsang ihre Bedrängnis und schloß Sandy an die zusätzliche Flasche an, die er in seinem Rucksack vom Lager IV heraufgetragen hatte.
Fischer hatte im Verlauf des
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