Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
meinem Angesichte, so daß auch mein Auge immer wieder zu ihr hinüber gezogen wurde.
    Auch ich hörte nur mit halbem Ohre auf die Worte der Erzählenden. Ich konnte die Empfindung nicht los werden, als sei ich der Held eines jener phantastischen Märchen, welche ihre Gestalten der Einbildungskraft des Dichters entnehmen und grad desto interessanter sind, je unmöglicher die Ereignisse genannt werden müssen, welche sie erzählen. Wie eine der verzauberten Prinzessinen, welche, verfolgt von dem Fluche einer bösen Fee, herabsteigen mußten von blinkender Höhe, um in unscheinbarer Gestalt des Erretters zu warten, lag sie vor mir, und ich fühlte in diesem Augenblicke, daß ich für sie zu jeder Anstrengung, zu Allem, Allem fähig sei, was ein Mann nur zu thun vermag für das Weib, dem jeder Pulsschlag seines Herzens gewidmet ist.
    Aber was half mir diese Liebe einem Wesen gegenüber, welches eine so in die Augen fallende Abneigung für mich an den Tag legte? Ich stand auf und schritt in das Dunkel hinaus, über welches sich der klare, sternenvolle Himmel ausbreitete.
    Ein leises, freudiges Wiehern am Saume des Gebüsches, welches den Bach berandete, rief mich zu Swallow, welcher mich erkannt hatte und nun den Kopf zärtlich an meiner Schulter rieb. Er war mir doppelt lieb geworden, seit er sie durch Gluth und Fluth getragen, und liebkosend drückte ich meine Wange an seinen schlanken, weichen Hals.
    Ein kurzes Schnaufen seiner Nüstern, welches mir als Warnungszeichen bekannt war, ließ mich zur Seite blicken. Eine männliche Gestalt kam auf uns zugeschritten und ich sah den Zipfel des um den Kopf geschlungenen Tuches sich bewegen. Es war Ellen.
    »Verzeiht, wenn ich störe,« klang ihre tiefe, jetzt etwas unsichere Stimme. »Ich dachte an Euren Swallow, welchem ich das Leben zu danken habe, und wollte das brave Thier gerne begrüßen.«
    »Hier steht es, Miß. Ich werde die Herzlichkeit dieser Begrüßung nicht durch meine Gegenwart beeinträchtigen.
Good night!
«
    Ich wandte mich zum Gehen, hatte aber kaum ein Dutzend Schritte gethan, als ich ihren halblauten Ruf vernahm.
    »Sir!«
    Ich blieb stehen. Zögernden Fußes kam sie mir nach, und das eigenthümliche Vibriren ihrer Stimme verrieth die Verlegenheit, welche sie nicht so schnell überwinden konnte.
    »Ich habe Euch beleidigt!«
    »Beleidigt?« erwiederte ich kühl und ruhig; »Ihr irrt, Miß. Der Mann kann einer Dame gegenüber wohl Nachsicht, nie aber das Gefühl des Beleidigtseins empfinden.«
    Es dauerte eine Minute, ehe sie eine Antwort auf diese vielleicht unerwarteten Worte fand.
    »Dann verzeiht meinen Irrthum.«
    »Gern; ich bin an ihn gewöhnt.«
    »Eure Nachsicht werde ich wohl nicht wieder in Anspruch nehmen.«
    »Sie steht Euch trotzdem zu jeder Zeit zur Verfügung.«
    Schon wollte ich mich wieder abwenden, als sie mir mit einem schnellen Schritte nahe trat und die Hand auf den Arm legte.
    »Lassen wir Persönlichkeiten jetzt unberührt. Ihr habt mit der größten Gefahr für Euer eigenes Leben mir dasjenige meines Vaters an einem Abende zweimal erhalten; ich muß Euch danken und wenn Ihr noch so böse und abstoßende Worte sprecht.«
    Warm und weich legten sich ihre Finger um meine Hand und der Hauch ihres Athems berührte mein Gesicht. Ihre großen, offenen Augen blickten voll und forschend in die Meinigen; je länger dieser magische Blick auf mir ruhte, desto näher zog er mich zu ihr, und ich mußte mich bezwingen, um nicht meine Arme um sie zu legen und denselben Fehler zu begehen, der sie in New-Venango von mir gescheucht hatte.
    »Jeder ›Westmann‹ ist zu Dem bereit, was ich gethan habe, und es geschehen noch ganz andere Dinge als Das ist, was Ihr da erwähnt. Was der Eine für den Andern thut, ist ihm von noch Anderen vielleicht schon zehnfach geschehen und kaum der Rede werth. Ihr dürft nicht nach dem Maaßstabe urtheilen, welchen Eure Kindesliebe Euch in die Hand giebt.«
    »Erst war ich es, jetzt aber seid Ihr’s, der ungerecht gegen Euch selbst ist. Wollt Ihr’s auch gegen mich sein?«
    »Nein!« Nur dies eine Wort vermochte ich auszusprechen, so voll war mein Inneres von der Wirkung dieser Stimme, deren Modulation mich mit süßer Wonne durchbebte. Wie scharf und abweisend hatte sie da droben beim Felsenhäuschen geklungen, und mit welchem fesselnden Wohllaute legte sie sich jetzt so lind und beruhigend auf die Bitterkeit, welche sie mir vorher im Herzen erweckt hatte!
    »Dann darf ich wohl eine Bitte sagen?«
    »Sprecht,

Weitere Kostenlose Bücher