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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verworrenen, schwarzgrauen Barthaaren eine Nase hervor, welche fast von erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. In Folge des gewaltigen Bartwuchses waren außer diesem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den übrigen Gesichtstheilen nur die zwei kleinen, klugen Augen zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit einem Ausdrucke von schalkhafter List von Einem zum Andern von uns Dreien sprangen.
    Diese Oberparthie ruhte auf einem Körper, welcher uns bis auf das Knie herab vollständig unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, welcher augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person angefertigt worden war und dem kleinen Mann vor uns das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor, welche in ausgefransten Leggins staken, die so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor einem Jahrzehnt ausgewachsen haben mußte und dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in welche zur Noth der Besitzer in voller Person hätte Platz finden können.
    In der Hand trug der Mann eine alte Rifle, die ich nur mit der äußersten Vorsicht angefaßt hätte, und als sich so mit einer gewissen Würde auf uns zu bewegte, konnte ich mir keine größere Carricetur eines Prairiejägers denken, als ihn. –
    »Sam Hawkens!« rief Old Firehand. »Sind Deine Aeuglein blöde geworden, so daß Du mir die Parole abverlangst?«
    »Meine es nicht, Sir! Halte aber dafür, daß ein Mann auf Posten auch zuweilen zeigen muß, daß er die Losung nicht vergessen hat. Willkommen im Bajou, Mesch’schurs! Wird Freude geben, große Freude.«
    »Wer von den Männern ist vorhanden?« fragte unser Anführer, indem er ihm vom Pferde herab die Hand schüttelte.
    »Alle, außer Bill Bulcher, Dick Stone und Harris, meine ich, die fort sind, um ›Fleisch zu machen‹. Die kleine Lady ist auch gekommen und wenn ich recht gesehen habe, ein Wenig groß geworden.«
    »Weiß es, weiß es, daß sie da ist. Wie ist’s sonst gegangen? Gab’s Rothhäute?«
    »Danke, danke, Sir; könnte mich nicht besinnen, welche gesehen zu haben, obgleich« – setzte er, auf sein Schießinstrument deutend, hinzu – »Liddy Hochzeitsgedanken hat.«
    »Und die Fallen?«
    »Haben gute Erndte gehabt, sehr gute, wenn ich mich nicht irre. Könnts selbst sehen, Sir; werdet wenig Wasser im Thore finden, meine ich.«
    Er drehte sich um und schritt, während wir weiter ritten, seinem Verstecke wieder zu.
    Die kleine Scene hatte mir gezeigt, daß wir in der Nähe der »Festung« angekommen seien; denn Sam Hawkens stand jedenfalls als Sicherheitswache in kurzer Entfernung vom Zugange zu derselben, und mit Aufmerksamkeit musterte ich die Umgebung, um denselben zu entdecken.
    Jetzt öffnete sich links eine enge Kluft, welche von so nahe an einandertretendem und oben von Brombeerranken überdachtem Gestein gebildet wurde, daß man beide Seitenwände mit den ausgespreizten Händen erreichen konnte. Die ganze Breite des Bodens nahm ein Bach ein, dessen hartes, felsiges Bette nicht die geringste Spur eines Fußes wiedergeben konnte und sein klares, durchsichtiges Wasser in das Flüßchen leitete, an dessen Rande wir in das Thal emporgeritten waren. Old Firehand bog hier ein, und wir folgten, langsam gegen den Lauf des Wassers reitend. Jetzt verstand ich auch die Worte des Postens, daß wir wenig Wasser im Thore finden würden.
    Kurze Zeit nur hatten wir diese Richtung eingeschlagen, als die Felsen zusammen rückten und uns in so geschlossener Masse entgegen traten, daß der Weg hier zu Ende zu sein schien. Aber zu meinem Erstaunen ritt Old Firehand immerzu und ich sah ihn mitten durch die Mauer verschwinden. Winnetou folgte, und als ich die räthselhafte Stelle erreichte, bemerkte ich nun allerdings, daß die dichten, von oben herabhängenden, wilden Epheuranken nicht eine Bekleidung des Steines, sondern einen Vorhang bildeten, hinter welchem die Oeffnung tunnelartig fortlief und in dichte Finsterniß führte.
    Lange, lange Zeit und in verschiedenen Krümmungen folgte ich den beiden Voranreitenden durch das Dunkel, bis endlich wieder ein matter Tagesschein vor mir auftauchte und wir in eine ähnliche Kluft kamen wie diejenige, durch welche wir uns vorhin gewunden

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