Der gläserne Drache

er sich eingesperrt fühlt und versucht, seine „Ketten“ abzuwerfen. Das würde dir wohl noch mehr Herzeleid bringen.
    Darum solltest du den Dingen einfach ihren Lauf lassen!“
     
    „Ach, Malux! Warum kann Wigo nicht so sein wie sein Bruder?“ seufzte Tamira.
     
    „Würdest du ihn denn lieben, wenn er so wäre?“ fragte Malux zurück. „Dann hättest du dich ja in Tanis verliebt und nicht in ihn, nicht wahr? Ist nicht sein ungezügeltes Temperament das, was dich bei Wigo anzieht?
    Darum musst du ihn nehmen, wie er ist, denn du kannst seinen Charakter nicht ändern, was du im Grunde ja auch gar nicht willst.
    Zwei Jahre sind schnell vorbei, und wenn ihr euch wiederseht, wirst du erfahren, ob sich seine Einstellung zu dir geändert hat oder nicht.
     
    Und wer weiß, ob du ihn dann überhaupt noch willst, denn andere Mütter haben auch hübsche Söhne!“ scherzte er, um Tamira zum Lächeln zu bringen.
     
    „Ach, Malux, was sollen wir nur in der langen Zeit ohne dich tun?“ klagte Tamira und schmiegte sich in die Arme des Freundes. „Wer wird uns raten und trösten, wenn wir nicht weiter wissen?“
     
    „Nun, ich denke, dass ihr in Aelianos bereits einen guten Freund gefunden habt, denn ich weiß, dass der alte Magier euch schon längst in sein Herz geschlossen hat.
    Zögert darum nicht, ihn um Rat zu bitten, wenn ihr dessen bedürft! Er ist gütig und weise, und er ist auch der Einzige hier am Hof, der es wagt, Mendor die Stirn zu bieten.
    Ich bat ihn, an meiner Stelle auf euch zu achten, und er versprach mir, dafür zu sorgen, dass niemand euch ungerecht behandelt. Du siehst, es ist bereits alles bestens für eure Zeit hier geregelt.
     
    Nutzt die zwei Jahre gut, denn alles, was ihr hier lernt, werdet ihr in eurem neuen Stand in Torgard bitter nötig haben!
    Nicht jeder der Adligen des Fürstentums wird Tanis mit offenen Armen willkommen heißen, und mehr als einer wird empört darüber sein, dass der neue Fürst keine Braut aus ihren Kreisen wählt, sondern „eine dahergelaufene Bauerndirne“ zur Gemahlin nimmt.
    Ich kenne meine Standesgenossen zur Genüge, daher weiß ich, dass Anina und du es nicht leicht haben werdet, Anerkennung zu finden. Somit sollte zumindest euer Wissen in höfischen Belangen keinen Grund bieten, sich hinter eurem Rücken über euch lustig zu machen.
    Mendor tat gut daran, es Tanis zu verweigern, euch sofort mitzunehmen. So bleibt dem jungen Fürsten genug Zeit, seine Untertanen auf die veränderte Situation vorzubereiten. Das wird euch den Beginn eures neuen Lebens erheblich erleichtern.
    Und nun blickt der Zukunft mit Vertrauen auf euch selbst und die Götter entgegen, die euch auf diesem Weg gebracht haben.“
     
    *****
     
    Und dann kam der Morgen des Aufbruchs. Alle hatten sich im Hof der Burg eingefunden, um den Scheidenden ein letztes Lebewohl zu sagen. Selbst Gelda stand auf einem Balkon, um ihnen zum Abschied zuzuwinken.
     
    Anina klammerte sich so fest an Tanis, als wolle sie ihn nicht mehr loslassen, bis ein vernehmliches Räuspern des Königs der bewegenden Abschiedsszene ein Ende machte.
     
    „Meine Liebste, sei nicht so traurig!“ sagte Tanis. „Du weißt, wir werden nie ganz getrennt sein, falls unsere Gedankenbilder uns auch über diese weite Strecke erreichen können.
    Ich werde den ganzen Weg bis nach Torgard jeden Tag versuchen, die Verbindung aufzunehmen, und hoffe, dass ich dich auch von dort noch erreichen kann. So wirst du, wenn es möglich ist, immer wissen, wie es uns geht, und brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
     
    Dann saßen alle auf und sprengten zum Tor hinaus.
     
    Anina und Tamira liefen mit bis vor das Tor und winkten, bis eine Wegkehre die Reiter ihren Blicken entzogen.
     
     
     
    Ende Band I
     

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