Der gläserne Drache
Euren Boten, dass die Zwillingssöhne von Prios nicht getötet wurden, wie es damals hieß, sondern nur unauffindbar waren.
Schließt selbst aus meinem Bericht, Herr, und aus den Windeln, die ich mitbrachte, ob Tanis und Wigo die Söhne unseres armen Fürsten sind!
Aber wenn Ihr nicht der Meinung seid, so soll es mir auch recht sein, denn sie werden doch immer meine geliebten Söhne bleiben.“
Während der König das Bündel aufschnürte, zogen Tanis und Wigo Dormas in die Arme. „Und du wirst, was auch geschehen mag, immer unser Vater sein, auch wenn wir nicht von deinem Blut sind!“ sagte Tanis. Und Wigo bestätigte: „Für mich gilt das Gleiche, Vater!“
Mendor hatte inzwischen die Windeln und Einschlagtücher hervorgeholt, in denen die Zwillinge gefunden worden waren. Und er sah die feine Stickarbeit: das stilisierte Wappen des Fürstentums Torgard und die Buchstaben T und W.
Herward hatte ihm mit angehaltenem Atem zugesehen. Jetzt stieß er hörbar die Luft aus.
„Also doch!“ rief er mit vor Freude glänzenden Augen. „Erugal, ich habe meinen Schwur erfüllt und die Söhne des Prios heil der Obhut des Königs übergeben!“
„Ja, das habt Ihr!“ sagte der König. „Denn mit Dormas Bericht und diesen Dingen hier ist die Herkunft der Zwillinge ohne Zweifel bestätigt.
Nun denn, Tamao und Waco, hiermit erkenne ich euch als die Erben des Fürstentums Torgard an!
Ich werde nachher den Schreiber kommen lassen und dies offiziell mit Band und Siegel bestätigen.
Und ich denke, dass ihr sobald wie möglich in eure Heimat zurückkehren solltet. Bis ihr das einundzwanzigste Jahr vollendet habt, soll der jetzige Regent Gondar die Herrschaft weiterführen und euch lehren, das Land zu führen.
Er ist alt und weise, und er hat keine eigenen Erben. So wird er glücklich sein, die Bürde der Regentschaft in jüngere Hände übergeben zu können.
Und ich bestimme weiterhin, dass Tamao als der Erstgeborene von euch beiden dann die Herrschaft über Torgard weiterführen soll. Waco hingegen bekommt von mir Romandos Fürstentum, das an Torgard grenzt, als Lehen, denn eure Eltern verloren durch ihn und seinen Vater ihr Leben.
Aber ich werde ihm Herward von Walland zur Seite stellen, denn es braucht eine starke Hand, um dort wieder Ordnung zu schaffen.
Das Anwesen des Schurken hier in der Stadt übergebe ich euch beiden, damit ihr es benutzen könnt, wenn ich euch in meine Nähe rufe.
In einer Woche werdet ihr aufbrechen!“
Tanis und Wigo waren erschrocken. Sie hatten zwar mit dieser Möglichkeit gerechnet, sich es aber nie so richtig vorstellen können. Und nun sollten sie schon in so kurzer Zeit als Fürsten in ihrer eigenen Burg wohnen.
Sie brauchten geraume Zeit, um ihre Sprache wiederzufinden.
„Aber was wird aus Tamira und Anina?“ fragte Tanis verwirrt. „Werden sie mit uns gehen?“
„Nun, das wäre wohl nicht schicklich“, sagte der König. „Aber meine Gemahlin würde die beiden gern weiter in ihrer Obhut behalten, da sie klug und von gutem Charakter sind.
Und zwei so hübsche Mädchen werden wohl bald die Aufmerksamkeit manches Junggesellen am Hof auf sich ziehen. Gelda wird schon darauf achten, dass sie einen guten Ehemann bekommen. Ihr braucht euch also um die Zukunft der beiden keine Sorgen zu machen.“
Die vier jungen Leute machten betretene Gesichter. Keiner von ihnen war mit dieser Lösung glücklich. Dass sie sich irgendwann vielleicht voneinander trennen müssten, hatten sie in ferne Zukunft gerückt und es nie als Tatsache angesehen.
Doch nun hing die baldige Trennung wie eine düstere Wolke über ihnen.
Als es Abend wurde, hielt Anina es nicht mehr aus. „Ich gehe in den Stall und besuche Tisu“, sagte sie zu Tamira. „Kommst du mit?“
Doch Tamira hatte keine Lust. „Geh nur allein und bringe dem Kleinen meine Grüße!“ antwortete sie und vertiefte sich wieder in ihr Buch.
So ging Anina allein in die Stallungen. Da zu dieser Zeit die Pferde bereits gefüttert waren, hielt sich niemand dort auf. Sie ging zu der Box, in der Tisu mit seiner Mutter untergebracht war. Sofort kamen die beiden an und streckten ihre Köpfe über das Gatter, denn sie wussten, dass Anina immer Leckerbissen wie Äpfel oder altes Brot mitbrachte.
Anina betrat die Box, verteilte ihre Leckereien und kniete dann neben Tisu nieder. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, und er schnaubte ihr zärtlich ins Ohr. Da begann sie hemmungslos zu
Weitere Kostenlose Bücher