Der gläserne Drache
dir sagte, bis wir wissen, wie mein Bruder dazu steht.
Ich werde dir ein Gedankenbild schicken, aber wie immer es auch ausfällt – Wigo muss das mit Tamira selbst klären!“
Er streichelte dem kleinen Tisu über die weiche Nase und ging dann hinaus, jedoch nicht ohne sich noch einen Kuss von den Lippen Aninas zu stehlen. Gedankenverloren und mit noch immer laut pochendem Herzen blieb Anina zurück.
Als er über den Hof ging, traf er auf Herward, den die Zwillinge immer noch Malux nannten, wenn niemand dabei war.
„Ich würde dich gern um Rat fragen, wenn du ein wenig Zeit für mich hast, Malux“, sagte er, „denn ich habe eine Entscheidung getroffen, die dem König wohl nicht gefallen wird.
Vielleicht begleitest du mich auf unser Zimmer, denn auch Wigo soll erfahren, was ich beschlossen habe.“
Malux folgte Tanis auf das Zimmer der Brüder. Wigo räkelte sich missmutig in einem Sessel und starrte aus dem Fenster. Als die beiden eintraten, setzte er sich auf.
„Gut, dass ihr kommt!“ sagte er verdrossen. „Ich habe so schlechte Laune, dass ich schon überlegte, welche Fensterscheibe ich einschlagen soll.“
„Ich weiß nicht, ob es deine Laune verbessern wird, wenn du hörst, was ich vorhabe “, lächelte Tanis. „Vielleicht sollte ich das Mobiliar hier im Zimmer besser mit einem Schutzzauber belegen, damit du es nicht zerstören kannst.“
„Nun setz‘ dich schon und rede!“ knurrte Wigo.
Auch Malux setzte sich und schaute Tanis mit einem eigenartigen Lächeln an.
„Ich werde morgen Früh bei Mendor um die Hand von Anina anhalten!“ platzte Tanis heraus. „Ich liebe sie und kann nicht dulden, dass sie irgendwann an jemand anderen verheiratet wird.
Wenn der König meinen Wunsch nicht gewährt, verzichte ich auf mein Geburtsrecht und gehe mit ihr fort!“
Wigo sah ihn entgeistert an, doch in Malux‘ Gesicht zeigte sich ein befriedigter Ausdruck.
„Welcher Dämon hat dich denn gebissen?“ fragte Wigo erschrocken. „Willst du dich ernsthaft dem Befehl deines Lehnsherrn widersetzen?“
„Noch ist er nicht mein Lehnsherr, denn ich habe ihm den Eid noch nicht geleistet!“ entgegnete Tanis. „Aber ich glaube, dass Mendor seine Entscheidung noch einmal überdenkt, wenn ich ihm sage, dass Anina und ich uns lieben.
Er schuldet den beiden Mädchen für die Errettung seines Lebens und seines Königreichs wohl ein wenig mehr, als er ihnen jetzt zu bieten bereit ist.
Doch der König ist wie die meisten Adligen völlig gedankenlos, wenn es um die Belange des einfachen Volkes geht.
Im Grunde genommen sieht er in Anina und Tamira immer noch nicht mehr als einfache Bauernmädchen und meint, sie müssten schon darüber überglücklich sein, an seinem Hof leben zu dürfen.
Also sag, was du willst – meine Entscheidung steht fest!“
„Na, endlich!“ seufzte Malux. „Ich frage mich schon die ganze Zeit, wann ihr endlich euren Herzen folgen wollt.
Habt ihr nicht durch Romando gelernt, euch dem Willen anderer zu widersetzen, wenn euch etwas nicht passt? Ihr seid doch frei in euren Entscheidungen, denn wer – außer vielleicht ein Magier wie Aelianos – wollte euch daran hindern, euren Weg selbst zu bestimmen?
Außerdem denke ich auch, dass Mendor nur gewohnheitsmäßig bestimmt hat, was ihm für das Beste für euch erschien, denn wo käme er hin, wollte er jeden seiner Untertanen nach seiner Zustimmung zu seinen Beschlüssen fragen!
Ich glaube aber, dass er ein Einsehen hat, wenn er hört, dass ihr die Mädchen liebt und euch um keinen Preis von ihnen trennen wollt.“
„Halt, halt!“ rief Wigo. „Habe ich je gesagt, dass ich Tamira liebe?“
„Und – tust du es nicht?“ fragte Tanis lauernd. „Frage dich, ob du es ertragen würdest, sie in den Armen eines anderen zu sehen!
Und das wird zwangsläufig irgendwann so sein, denn auch andere Männer haben Augen im Kopf. Ein Mädchen wie Tamira, schön, klug und noch dazu ein Schützling des Königs, wird sich bald vor Verehrern nicht retten können.
Nun, du kannst es dir ja bis morgen überlegen! Wenn du dann nicht zu einer Entscheidung gekommen bist und der König meinem Wunsch entspricht, werde ich beide Mädchen mit nach Torgard nehmen.
Als Schwester der herrschenden Fürstin wird niemand an meinem Hof wagen, Tamira wegen ihrer Herkunft zu kränken.
Und nun lasst uns zum Essen gehen, der Vater wird schon auf uns warten!“
An der Tafel war der sonst so
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