Der gläserne Drache
die Seite. „Wie immer denkt Wigo nur bis zum nächsten Mittagessen voraus.
Aber ich denke, wir sollten jetzt ins Haus zurückgehen. Vielleicht erscheint Magritta noch, um uns Verhaltensmaßregeln für die Reise zu geben.“
Tatsächlich stand die Hausdame schon in der Halle, als die Vier hereinkamen.
„Das wird auch Zeit, dass ihr euch endlich hier sehen lasst!“ fuhr sie die jungen Leute an. „Nun, ab Morgen ist es mit euren Eigenmächtigkeiten ja ein für alle Mal vorbei, denn dann seid ihr unter der ständigen Aufsicht des Herrn Romando. Und der wird euch schon in Zucht und Ordnung halten!
Geht jetzt auf eure Zimmer und packt eure persönlichen Dinge ein. Die Sachen, die ihr auf der Reise benötigen werdet, sind bereits im Gepäck verstaut. Wenn ihr morgen fort seid, möchte ich keine Spur von eurer Anwesenheit mehr im Hause vorfinden.“
Sie drehte sich abrupt um und rauschte davon.
„Nun, wenigstens einem werden wir mit unserer Abreise eine große Freude bereiten“, sagte Tamira sarkastisch. „Magritta wird Tränen in den Augen haben – Freudentränen!“
„Sei nicht so sicher, dass es Freudentränen sind!“ grinste Tanis. „Bedenke, dass sie auch ihren geliebten Romando nun für lange Zeit nicht sehen wird!
Kommt, gehen wir unsere Habseligkeiten einsammeln! Große Säcke werden wir dafür ja nicht brauchen.“
Maya war im Zimmer der Mädchen damit beschäftigt, ihnen die Reisekleidung für den nächsten Tag bereitzulegen.
Aus den Augen des stillen Mädchens liefen unaufhörlich Tränen. Wortlos nahmen Tamira und Anina sie in die Arme.
„Ach, was soll nun in diesem Haus ohne euch aus mir werden?“ klagte Maya. „Magritta kann mich nicht leiden und wird mich ihre Wut darüber spüren lassen, dass ihr mir geholfen habt. Was soll ich nur ohne euren Schutz tun?“
„Verlass den Dienst“, sagte Anina, „denn Magritta wird ihn dir sowieso aufkündigen! Da wir nicht mehr hier sind und auch Romando für lange Zeit nicht ins Haus zurückkehrt, nimmt sie das sicherlich zum Anlass, etliche des Gesindes zu entlassen.
Ein fleißiges Mädchen wie du findet sicherlich bald einen neuen Dienst, und bis dahin werdet ihr keine Not leiden, denn das Geld wird noch eine Weile reichen.
Das Beste wird sein, du verlässt das Haus, noch bevor wir aufbrechen. Magritta wird sich nicht die Mühe machen, nach dir zu suchen, denn sie kann sich denken, warum du fortgegangen bist.“
„Ja, ich werde eurem Rat folgen“, sagte Maya, „denn hier kann ich nicht länger bleiben.
Der Herr hat angeordnet, dass ihr morgen bei Sonnenaufgang nach einem kurzen Frühstück fertig sein müsst. Ich werde euch noch rechtzeitig wecken und dann das Haus verlassen, wenn ihr zum Frühstück geht. In dem Durcheinander des Aufbruchs wird niemand mein Verschwinden bemerken.“
Sie half den Mädchen, die wenigen Dinge einzusammeln, die sie von zuhause mitgebracht hatten.
Wehmütig schauten Anina und Tamira auf die Erinnerungen an ihre Familie. Was würden der Vater und die Brüder wohl gerade machen? Vermissten auch sie die Schwestern?
In beiden stieg erneut das Heimweh hoch, das die vielen neuen Eindrücke und Gefahren in den Hintergrund gedrängt hatte. Würden sie ihre Lieben je wiedersehen? Und jede sah in den Augen der Schwester die Angst vor dem, was auf sie warten mochte. Was würde das Schicksal ihnen bringen – Tod oder Erlösung?
Nachdem Maya gegangen war, umarmten sie sich fest. Eine Weile standen sie eng umschlungen da, jede aus der Anwesenheit der geliebten Schwester Trost und Hoffnung schöpfend.
Da erreichten sie die Gedankenbilder von Tanis und Wigo. Auch die beiden Jungen fühlten im Augenblick das Gleiche. Ihre Seelen verbanden sich, und die enge Einheit der Vier gab ihnen Kraft und Stärke.
Sie wussten nun, dass sie ihren Weg mit Mut und Zuversicht weitergehen würden.
*****
Am nächsten Morgen standen vor der Treppe Romandos zehn Pferde. Drei von ihnen trugen vollbeladene Packsättel. Auch hinter jedem der Reitsättel war ein großes Bündel aufgeschnallt. Malux und Porgan hielten die Pferde.
Als die Freunde die Treppe hinunterliefen, sahen sie zu ihrer Verwunderung das Fohlen Tisu bei seiner Mutter stehen.
„Willst du den Kleinen mit auf die Reise nehmen?“ fragte Tanis. „Er wird wohl kaum in der Lage sein, einen Tagesritt durchzustehen.“
„Wir müssen ihn mitnehmen“, sagte Anina, „denn er braucht seine Mutter noch ein Weilchen.
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