Der gläserne Schrein (German Edition)
um, ob ihn niemand belauschte. Dann fuhr er mit gesenkter Stimme fort: «Auch die Männer, die sie heiraten wollen, schickt sie immer schnell wieder weg.»
«Männer?», fragte Christophorus beiläufig. «Haben denn bereits mehrere um sie geworben?»
«Vier oder fünf wenigstens», wusste Milo zu berichten. «Gesellen der Schreinerzunft, auch zwei reiche Kaufleute. Aber sie wollte keinen von ihnen. Ich glaube, Leynhard hat auch um ihre Hand angehalten. Er hat es mir zwar nicht erzählt, aber so, wie er sie immer angafft … Außerdem geht sie ihm seit kurzem aus dem Weg. Dabei sagt Jaromir, dass Frau Marysas Eltern es gerne sehen würden, wenn sie den Leynhard nähme. Er muss es wissen, weil seine Eltern schon so lange bei Frau Jolánda im Dienst stehen.»
«Was du alles weißt.»
Milo winkte ab. «Man kriegt einiges mit. So groß ist das Haus ja auch nicht. Wenn sie einen nimmt, dann wohl den Leynhard. Er ist ein guter Kerl, nicht so gemein wie der selige Meister. Ich glaube, dass er es gut mit ihr meint.»
«Glaubst du?» Christophorus öffnete die Hintertür und betrat das Haus.
«Ja», sagte Milo hinter ihm. «Sie kann doch nicht für den Rest ihres Lebens Witwe bleiben. Dazu ist sie noch viel zu jung und zu hübsch.»
Christophorus warf ihm über die Schulter einen kurzen Blick zu.
Verlegen zuckte Milo mit den Achseln. «Stimmt doch. Oder findet Ihr sie nicht schön?» Ohne auf eine Antwort zu warten, redete er weiter: «Erst haben wir gedacht, dass sie vielleicht einen heimlichen Liebsten hat, von dem der Meister nichts erfahren durfte. Aber jetzt ist er schon so lange tot und sie noch immer allein.»
Christophorus wandte sich zu der Stiege, die ins obere Geschoss führte. «Du scheinst dir ziemlich viele Gedanken zu machen, Milo.»
Der junge Knecht senkte plötzlich betrübt den Kopf. «Sie ist ’ne gute Herrin, und es macht mich traurig, wenn es ihr nicht gut geht.»
Christophorus lächelte leicht. «Du meinst, wenn sie nicht glücklich ist.»
Nun wurde Milo tatsächlich rot. «Steht mir nicht zu, ich weiß. Aber sie verdient es nicht, so allein zu sein.»
«Du hast selbst gesagt, dass sie es vielleicht gar nicht anders will.»
«Kein Mensch ist gerne einsam», antwortete Milo mit fester Stimme. «Vielleicht könnt Ihr sie ja aufheitern und ihr helfen.»
«Ich?» Abwehrend hob Christophorus die Hand. «Glaube mir, dazu bin ich gewiss nicht geeignet. Ich fürchte, dass ich der letzte Mensch bin, von dem Frau Marysa in dieser Angelegenheit Hilfe annehmen würde. Sie ist nicht gut auf mich zu sprechen.»
«Dennoch lässt sie Euch hier wohnen.» Milo warf ihm einen letzten Blick zu. «Ich muss an die Arbeit. Die Dachrinne ist an einigen Stellen undicht. Das repariere ich lieber, bevor der nächste Sturm kommt.»
«Was für ein Sturm?», fragte Christophorus erstaunt, doch Milo hatte sich bereits auf dem Absatz umgedreht und war wieder nach draußen verschwunden. Kopfschüttelnd stieg Christophorus die schmalen Stufen hinauf, nach halbem Wege blieb er erneut stehen, denn aus der Werkstatt drangen laute Stimmen.
Neugierig machte er kehrt und trat leise an die Verbindungstür zwischen der Werkstatt und dem schmalen Flur zu den Wohnräumen.
«Was soll das heißen, sie ist nicht da? Wo treibt sie sich schon wieder herum?»
Christophorus erkannte diese ölige Stimme – sie gehörte eindeutig Hartwig, Marysas Vetter.
Heyn antwortete ihm freundlich: «Sie ist mit ihrer Mutter und ihrem Großvater zum Grashaus gegangen, um Meister Goldschläger zu besuchen, ihm warme Decken und etwas zu essen zu bringen.»
Hartwig schnaubte abfällig. «Dann warten wir.» Schritte wurden laut, Christophorus wich rasch von der Tür zurück, die sich im nächsten Moment öffnete. «Balbina!», rief Hartwig laut. «Bring uns etwas zu trinken in die Stube!» Als er Christophorus sah, blieb er jedoch wie angewurzelt stehen. «Ihr?» Seine Überraschung hielt nicht lange vor, sondern wandelte sich sofort in Hohn. «Sieh an, der Ablasskrämer. Bruder Christophorus, nicht wahr? Dann stimmen die Gerüchte also, die ich auf der Straße aufgeschnappt habe. Ihr seid zurück. Wie passend, ausgerechnet, wenn Marysa wieder in der Klemme steckt. Nun ja, erfreulicherweise nicht sie selbst. Ein glücklicher Zufall, will ich meinen.»
«Wie das?» Christophorus musterte ihn argwöhnisch. Hartwig war ein vierschrötiger Mann um die dreißig, dessen hellblondes Haar fast weiß wirkte. Seine großen abstehenden Ohren ließen ihn auf
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