Der gläserne Schrein (German Edition)
kann es leider nicht ändern, Frau Marysa. Wir haben vor ein paar Tagen alle Türen zu den oberen Zellen ausbauen lassen, weil wir neue einsetzen wollen. Wurde auch Zeit, denn das Holz war schon ganz wurmstichig. Aber in eine Zelle ohne Tür kann man ja keinen Angeklagten …» Er verstummte verlegen. «Er wurde ins Gefängnis gebracht.»
«Ins Grashaus?» Marysa wurde blass. Aachens Gefängnis war ein altes, zugiges Gebäude am Parvisch; einst hatte es als Rathaus gedient. Heute drängten sich die Gefangenen in viel zu kleinen Zellen zusammen und schliefen statt auf Strohmatratzen auf dünnen geflochtenen Grasmatten. Sie schauderte, als sie sich ihren Stiefvater dort inmitten von Schlitzohren, Tagedieben und sonstigem Gelichter vorstellte.
«Hat er eine Einzelzelle?», wollte sie wissen.
Der Schöffenschreiber schüttelte den Kopf. «Für Einzelhaft besteht kein Anlass. Meister Goldschläger ist ja kein gefährlicher … Ich meine …» Er räusperte sich betreten. «Wir haben keinen Platz dort.» Als er ihre Miene sah, zuckte er mit den Schultern. «Ich kann natürlich sehen, ob man es möglich machen kann. Aber das geht nicht so ohne weiteres, Ihr versteht?»
«Wir zahlen dafür», fauchte Marysa, als sie begriff, worauf der Schöffenschreiber hinauswollte. «Wie viel?»
***
Schweigend hörte sich Christophorus van Eupens Bericht über die bisherigen Erkenntnisse der Schöffen an. Man hatte ihm im Rathaus Einlass gewährt, obwohl er gleich zu Beginn darauf hingewiesen hatte, dass er nicht mehr in der Funktion eines Inquisitors hergekommen war. Fast ärgerte er sich jetzt darüber, dass er sich entschieden hatte, diesen Teil seiner Maskerade aufzugeben, denn nur van Eupens Wohlwollen gegenüber Marysas Familie und der Tatsache, dass er sich an Christophorus erinnerte, war es zu verdanken, dass er sich bereit erklärt hatte, ihm die Ergebnisse der bisherigen Nachforschungen mitzuteilen.
Mit diesen, zugegebenermaßen, belastenden Informationen kehrte Christophorus gegen Mittag in Marysas Haus zurück. Sie war jedoch ausgegangen, wie Milo ihm ausrichtete. Zusammen mit ihrem Großvater und ihrer Mutter hatte sie sich bereits vor einer Stunde auf den Weg zum Gefängnis gemacht, um Bardolf zu besuchen. Also führte er zunächst sein Maultier in den Stall. Milo folgte ihm und half, das Tier zu versorgen.
«Ich hätt’ nicht gedacht, dass die Herrin Euch länger als eine Nacht bei uns wohnen lässt», bemerkte der junge Knecht und grinste frech. «Sie wollte Euch überhaupt nicht hier haben.»
«Ich weiß.» Christophorus blickte ihm aufmerksam ins Gesicht. «Das habe ich nur deinem vorlauten Mundwerk zu verdanken. Ich nehme an, du hast dafür eine rechte Abreibung einstecken müssen.»
Milo zuckte mit den Achseln. «Halb so wild.»
«Frau Marysa scheint dir ausgesprochen wohlgesinnt zu sein. Eine andere Herrin hätte dich umgehend auf die Straße gesetzt.» Christophorus strich seinem Maultier sanft über den Hals, dann trat er aus dem Stall in den Hof.
Milo blieb an seiner Seite. «Sie ist wirklich großzügig, die Frau Marysa», bestätigte er. «Mein Vater ist letztes Jahr im Sommer sehr krank gewesen, sodass meine Mutter sich lange um ihn kümmern musste. Sie konnte nicht mehr so viel für die Leute waschen wie sonst. Meine Geschwister hatten oft nicht genug zu essen, da fragte Frau Marysa mich eines Tages, ob ich in ihrem Haushalt als Knecht arbeiten wolle. Der Grimold ist ja schon alt und schafft nicht mehr so viel wie früher. Also brauchte Jaromir jemanden, der ihm bei den schweren Arbeiten hilft, beim Kistenschleppen und Holzhacken.»
Christophorus nickte ihm zu. «Da hast du großes Glück gehabt, Junge. Setz es nicht aufs Spiel.»
«Nee, bestimmt nicht.» Jetzt grinste Milo wieder. «Euch muss sie aber ebenfalls mögen, auch wenn sie’s nicht zeigt.»
Christophorus blieb an der Hintertür stehen und starrte ihn verblüfft an. «Wie kommst du darauf?»
«Na, weil sie Euch heute Morgen nicht rausgeworfen hat», erklärte Milo nachdrücklich. «Seit ich hier arbeite, ich glaube, auch vorher, hat sie nie Besucher über Nacht hier gehabt. Erst recht keine Männer. Ich glaube, sie will ihr Haus ganz für sich haben. Kein Wunder, wenn man überlegt, wie der selige Meister sie behandelt … ähm.» Er räusperte sich, als er Christophorus’ strengen Blick auffing. «Sie hat zwar oft Gäste im Haus, aber abends müssen alle wieder gehen.» Milo fuhr sich durch die Haare und blickte sich prüfend
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