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Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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der Medicus, Magister Mertin Bertolff, Piets Behandlung beendete. Doch die Wunde schien schlimm zu sein; es dauerte jetzt schon über eine Stunde. Das Vesperläuten war längst verklungen, und die herbstliche Dunkelheit hatte sich über Aachen gesenkt. «Natürlich kannst du auch hier übernachten, wenn du möchtest.»
    Marysa schüttelte den Kopf und stand auf. «Nein danke, Mutter. Ich gehe lieber nach Hause. Bardolf ist ja so weit wohlauf, und für Piet können wir gerade nicht viel tun. Er ist bei Magister Bertolff in guten Händen. Ich muss zu Hause nach dem Rechten sehen, bestimmt wartet Balbina schon mit dem Abendessen auf mich.» Sie schluckte. Die Ereignisse hatten ihr den Appetit verdorben.
    Wieder verließ sie in Begleitung Tibors das Haus ihrer Eltern, diesmal jedoch kam sie ohne Zwischenfälle am Büchel an. Dort waren in der Werkstatt und den unteren Wohnräumen alle Fenster hell erleuchtet. Heyn hatte sicher den anderen bereits von dem Unfall in der Chorhalle berichtet, und nun warteten vermutlich alle darauf, von ihr die neuesten Nachrichten zu erfahren.
***
    Nervös zupfte Marysa an ihrem Kopfputz herum. Das eng geschnürte Kleid stand ihr mit seinem dunklen Tannengrün und den goldfarbenen Stickereien an Saum, Ärmeln und Halsausschnitt sehr gut zu Gesicht. Auf ihren kunstvoll hochgesteckten kastanienbraunen Locken hatte sie ein hohes Samtschappel in der Farbe des Kleides befestigt, dessen zartweißer Schleier ihr bis über die Schultern fiel und ihr nun ein skeptisches Stirnrunzeln entlockte. Zu aufwendig? Sie wusste, dass sie einen sehr guten Geschmack besaß, was Kleider und Geschmeide anging. Da sie aber am heutigen Abend gleich fünf sehr bedeutende und, wie ihr zugetragen worden war, sehr fromme Reliquienhändler zum Abendessen erwartete, fragte sie sich, ob sie mit dieser Kopfbedeckung nicht zu viel des Guten tat. Zwei der Händler waren Geistliche.
    Andererseits schadete es vielleicht nicht, wenn sie die Herren ein wenig mit ihrem Aussehen blendete. Manche Männer vergaßen beim Anblick einer hübschen Frau schon mal ihren Verstand, was sich für sie vielleicht vorteilhaft auf die Geschäftsverhandlungen auswirken könnte.
    Noch einmal blickte sie prüfend in den kleinen polierten Silberspiegel, dann verließ sie ihre Schlafkammer und stieg die steile Treppe ins Erdgeschoss hinab. Aus der Küche drangen bereits seit Stunden die herrlichsten Düfte. Imela, ihre junge Magd, war, den Geräuschen nach, gerade dabei, den großen Tisch in der Stube zu decken. Die alte bucklige Fita kam mit einem riesigen Krug aus dem Keller, der bis zum Rand mit Marysas bestem Wein gefüllt war. Rasch eilte sie auf die Frau zu und nahm ihr die Last ab. «Was schleppst du dich denn damit ab, Fita?», wollte sie wissen. «Warum hast du nicht Jaromir oder Milo geschickt? Wo stecken die beiden überhaupt?»
    Fita reckte sich stöhnend. «Die Jungs sind draußen», nuschelte sie mit ihrem fast zahnlosen Mund. «Habt ihnen doch befohlen, den Hof und die Remise aufzuräumen, Herrin.»
    «Sicher habe ich das. Aber deshalb musst du dich doch nicht mit dem schweren Krug abplagen.» Kopfschüttelnd trug Marysa den Wein in die Stube und begutachtete die Tischdekoration, die Imela aus Efeu- und Tannenzweigen erstellt hatte. «Sehr schön», lobte sie das Mädchen. «Nun geh in die Küche und hilf Balbina.» Sie drehte sich wieder zu Fita um. «Und du gehst hinaus, um Milo zu sagen, er soll schon mal das Hoftor öffnen. Unsere Gäste können jeden Moment eintreffen.»
    Wieder wurde Marysa von einer leichten Nervosität erfasst. Sie war zwar gerne in Gesellschaft, doch immer wenn sie selbst als Gastgeberin fungierte, wollte sie, dass alles perfekt war. Während ihrer kurzen Ehe hatte sie nur sehr selten Gäste zu bewirten gehabt und wenn, dann höchstens einmal Verwandte oder Meister der Schreinerzunft. Reinold war nicht sehr gesellig gewesen, hatte es auch nicht gerne gesehen, wenn Marysa sich in Gegenwart von Fremden allzu leutselig gab. Nach seinem Tod hatte sich ihr fröhliches und herzliches Gemüt jedoch mit aller Macht zurückgemeldet. Eine Tatsache, über die gewiss bereits hinter ihrem Rücken getuschelt wurde. Doch warum sollte sie ihre natürlichen Anlagen unterdrücken, wenn sie genau wusste, dass sie ihren Geschäften zupasskamen? Ganz abgesehen davon, dass sie sich seit Reinolds Tod wie von einer Last befreit fühlte. Anfangs hatte sie deswegen ein schlechtes Gewissen geplagt. Inzwischen jedoch war ihr nicht mehr

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