Der gläserne Schrein (German Edition)
hat er eingesehen, dass ich wirklich nur mit echten Reliquien handele.»
Skeptisch kniff Jolánda die Augen zusammen. «Stimmt das auch? Sind alle Reliquien, die du verkaufst, echt?»
Marysa gab keine Antwort, sondern lächelte nur.
«Marysa!» Jolánda wurde blass. «Du hast Scheiffart doch wohl keine Fälschung angedreht?»
«Mutter.» Marysa verschränkte ruhig die Hände in ihrem Schoß. «Nie im Leben würde ich einen Kanoniker des Marienstifts derart betrügen.»
«Ach.» Noch immer stand der Argwohn Jolánda deutlich ins Gesicht geschrieben. «Und was ist mit deinen anderen Kunden?»
Marysa schmunzelte. «Die, liebe Mutter, erhalten immer das, wonach sie verlangen.»
***
Eine Stunde noch hielt sich Marysa im Hause ihrer Eltern auf, dann machte sie sich auf den Heimweg, denn es dämmerte bereits. Da der Regen wieder nachgelassen hatte, hoffte sie, trockenen Fußes in ihrem Haus am Büchel anzukommen. Tibor begleitete sie und trug einen großen Krug Heidelbeerwein, den Orsolya, seine Gefährtin und Haushälterin im Hause Goldschläger, Marysa als Dank für die frischen Äpfel mitgegeben hatte.
Gerade passierten sie den Marktplatz und wollten in den Büchel einbiegen, als sie einen Aufruhr bei der Dombaustelle bemerkten. Die meisten Bauern und Händler hatten ihre Verkaufsstände bereits abgebaut, doch diejenigen, die noch auf dem Markt waren, liefen bei dem provisorischen Eingang zur Chorhalle zusammen und vereinten sich mit Knechten und Mägden, die für ihre Herrschaft noch letzte Besorgungen erledigten.
«Was ist dort los, Tibor?», fragte Marysa neugierig und blieb stehen.
Hilferufe wurden laut, und die Menschenmenge begann zu wogen. Im nächsten Augenblick kamen zwei kräftige Gesellen – der Kleidung nach waren es Maler – aus der Chorhalle und rannten zum Parvisch. Wieder ertönten Rufe.
«Da ist doch etwas passiert.» Marysa strebte bereits auf den Dom zu, obwohl Tibor sie aufhalten wollte.
«Wartet, Herrin! Das ist wüstes Mannsvolk. Ihr solltet da nicht hingehen.»
Doch Marysa beachtete ihn gar nicht, sondern drängte sich bereits durch die dicht beieinanderstehenden Menschen. Als sie Heyn Meuss, den Altgesellen aus ihrer Werkstatt, erblickte, tippte sie ihn an. «Was ist hier geschehen?»
Heyn drehte sich überrascht zu ihr um. Er war schon einige Jahre jenseits der Vierzig. Das steingraue Haar trug er kurzgeschoren, sein Gesicht war ledrig und mit Lachfältchen durchzogen, die von seiner angeborenen Heiterkeit zeugten. Nun aber wirkte seine Miene besorgt. «Frau Marysa!» Er schob einen anderen Mann beiseite, um ihr Platz zu verschaffen. «Es heißt, ein Unglück sei geschehen. Eines der Gerüste, auf dem die Goldschmiede arbeiten, soll eingestürzt sein.»
«O mein Gott!» Entsetzen durchfuhr Marysa. «Bardolf! Meister Goldschläger, ist er dadrinnen?» Nochmals versuchte sie, sich zwischen den Menschen hindurchzudrängen. Heyn half ihr dabei, indem er seine Ellenbogen einsetzte.
«Ich weiß es nicht, Frau Marysa. Sie haben die Tür verriegelt und zwei Männer geschickt, um Hilfe zu holen.»
Vor der verschlossenen Tür blieb Marysa stehen. Die Angst schnürte ihr für einen Moment die Kehle zu. «Ich muss …» Ihr kam ein Gedanke. «Folgt mir!», rief sie Heyn und Tibor zu bevor sie sich durch die Menge in Richtung Kaxhof drängte. Von dort aus betrat sie den Dom durch das große Portal. Der Knecht und der Geselle folgten ihr auf dem Fuße, als sie die kostbar eingerichtete Pfalzkapelle durchquerte und auf die Chorhalle zustrebte. In dem großen Leuchter, den Kaiser Friedrich, genannt Barbarossa, einst gestiftet hatte, brannten Kerzen, an den Wänden mehrere Fackeln. Das Marienstift würde hier in Kürze eine Abendmesse abhalten.
Marysa umrundete ein provisorisches Regal, in dem neben Malerfarben auch Werkzeuge, Lappen und Behälter mit Blattgold lagen, und blieb erschrocken stehen, als sie die Unglücksstelle erblickte.
Eines der schwindelerregend hohen Gerüste war tatsächlich umgestürzt und hatte ein weiteres mit sich gerissen. Beide Arbeitsplattformen waren beim Aufprall auf den Boden zerborsten.
Mehrere Männer, darunter zwei Kanoniker in ihren schwarzen Gewändern sowie drei Augustinermönche, klaubten das gesplitterte Holz und die Balken der Gerüste auseinander. Offenbar waren ein paar der Arbeiter unter den Trümmern verschüttet worden.
Als Marysa zwischen zwei Balken ein Stück blauen Stoff aufblitzen sah, schrie sie entsetzt auf. «Meister
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