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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinald Koch
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Fragonreiter zog ein unendlich verächtliches Gesicht, dann spuckte er dem Am vor die Füße. Das Wort Arzt hätte er sicher nicht verstanden, aber Heilkünstler nannten sich alle jene Kurpfuscher, die aus Kot, Unrat und Leichenteilen Zauberarzneien bereiteten. Ein anständiger Mathematiker würde sich nie mit solchem Pack einlassen. Das Schlimmste aber war, dass der Arzt genau die Bittformel gesprochen hatte, die man sagen musste, wenn man in der Fremde Essen kaufen wollte.
    Der Kommandant beobachtete mit Entsetzen die verheerende Wirkung, die die Rede des Arztes hervorgerufen hatte. Zornbebend herrschte er den Arzt an: »Halten Sie sofort den Mund! Und sagen Sie nie wieder etwas!«
    Diese unbeherrscht jähzornige Reaktion des Schiffskommandanten rettete wahrscheinlich ihrer aller Leben und die guten Beziehungen zu den Mathematikern von New Paris. Der Fragonreiter nahm befriedigt zur Kenntnis, dass der Oberste Chemiker den Heilkünstler genauso verachtete wie er selbst, und dass er ihm verboten hatte, zu sprechen.
    Indem er eine der Farmerleichen auf den Tisch warf, sagte er:
    »Gleich!« und trennte mit einem geschickten Schlag seines Schlachtbeils den zerschmetterten Kopf der Leiche vom Rumpf. Mit einem zweiten Schlag trennte er einen Arm am Ellbogen ab und warf ihn dem Arzt zu. Der war zu verwirrt, um zu reagieren, so dass der Arm auf den Boden fiel.
    »Heben Sie das auf, verschwinden Sie und machen Sie Ihre Untersuchungen; aber dalli!« brüllte ihn der Kommandant an.
    Der Arzt bückte sich, nahm den Arm und lief geduckt zum Raumschiff zurück. Gar zu gern wäre der Kommandant gefolgt, denn der Fragonreiter öffnete jetzt mit einem raschen Schnitt die Bauchhöhle des Toten, riss die Därme heraus und warf sie beiseite; aber der Kommandant musste bleiben, wenn er den Eindruck vermeiden wollte, aus dem gleichen Grund wie der Arzt gekommen zu sein.
    »Was macht ihr damit?« – Er deutete auf den ausgeweideten Farmer.
    »Futter für die Fragons! – Wir müssen das Fleisch zerlegen und trocknen, damit es länger hält.«
    »Aha!« erwiderte der Kommandant und sah zu, wie der Fragonreiter die Leichen zerstückelte. Ihm wurde übel bei dem Anblick.
    Gegen Mittag suchte der Kommandant den Arzt auf, um sich bei ihm zu entschuldigen und ihm die Gründe seines groben Benehmens zu erklären. Der Arzt winkte jedoch ab.
    »Ach, lassen Sie das, Kommandant! Ich habe inzwischen auch kapiert. Hier!«
    Er zeigte auf die Präparate und Reagenzen, die er zur Untersuchung des Arms angefertigt hatte. »Die Haut und Muskelzellen sind abnorm vergrößert, die Nervenbahnen teilweise zerstört. Daher die motorischen Störungen, die wir bei den Farmern beobachtet haben. Falls Sie Zweifel haben sollten, Kommandant, dies ist eindeutig der Arm eines Menschen.
    Die Gewebeschwellungen und die Paralyse der Nervenbahnen gehen auf Gifteinwirkungen zurück. Leider kann ich nicht sagen, ob es sich bei dem Gift um Stoffwechselprodukte eines Erregers handelt oder auf welche Weise es sonst in den Körper gelangt sein könnte.
    Solange wir keine Sicherheit darüber haben, was aus einem Menschen einen Farmer macht, um den Terminus unserer neuen Freunde zu gebrauchen, würde ich vorschlagen, den Kontakt mit den Einwohnern auf New Paris auf ein Minimum zu begrenzen. Eine Seuche dieser Art würde zu Hause auf Adapor das Ende bedeuten.«
    So wurde New Paris zur verseuchten Welt erklärt, und erst acht Jahrhunderte später revidierte ein Mann dieses Urteil. Der Handelsverkehr nahm allmählich immer starrere Formen an und niemand fragte mehr nach den Hintergründen.
     
    Über die flachen Gebäude des Raumhafens von Melars, eine trostlose, schmutzige Öde, steuerte Unteroffizier Ebben seinen Antigravgleiter zu der rotgolden schimmernden Nadel des Landungsbootes »Tremor I.«
    Während sie sich dem mehr als 200 m hohen Turm des Raumschiffs näherten, saß Franzik von nervöser Unruhe erfüllt neben seinem Piloten. Er gestand sich ein, dass er übereilt zum Raumschiff abgeflogen war. Er hätte jedenfalls noch einmal den Obersten Rat aufsuchen sollen. Aber er glaubte nicht, dass man ihn vorgelassen hätte. Der Oberste Rat mochte ein gewisses Interesse an der Aufklärung des Falles Mohalja haben … wenn er nicht die Ermordung selbst veranlasst hatte. Vielleicht war nur der Nervenstrang zerschnitten worden, der von der Hand zum Gehirn führt; eine Spur verwischt für den Fall des Misserfolgs. Jedenfalls würde der Oberste Rat nicht begeistert davon sein, dass

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