Der gläserne Wald
sein, dein Leben für Tolt einzusetzen und das Leben all deiner Leute auch! Tolt weiß von allem nichts und sollte auch noch nichts erfahren, lass ihn nicht merken, dass du ihn bewachst. So will es der Fürst!«
»So sei es!« stimmte tha Barga zu. »Ich bin bereit – aber kannst du mir ein Zeichen geben, Kaptin, dass ich in deinem Auftrag handele?«
Der Kaptin hob beide Hände in Brusthöhe vor tha Barga. An jedem seiner Finger mit Ausnahme der Daumen glänzte einer der aus Stein gesägten Dornenringe.
»Nimm dir einen von jeder Hand! Du weißt, jeder dieser Ringe ist ein Befehl des Fürsten. Den ersten darfst du weitergeben, wenn es nötig ist; der zweite …«, dabei hob er die rechte Hand tha Barga vor die Augen, »ist für dich allein. Wenn du versagst, tötet er dich, ohne dass du es verhindern kannst. Entscheide dich also, Zenturio tha Barga: Willst du den Ring?«
Statt einer Antwort streifte der Zenturio vorsichtig vom rechten Mittelfinger des Kaptin den tödlichen Ring und schob ihn sich mit Mühe auf den kleinen Finger seiner linken Hand.
»Damit ist dein Leben an das Leben dieses Tolt gebunden«, sagte der Kaptin feierlich. Er zog den zweiten Ring von seiner linken Hand und reichte ihn tha Barga.
»Tolt der Nägar ist der designierte Nachfolger des Fürsten«, flüsterte er, ohne tha Barga anzublicken. Dann wandte er sich um, und als sein Blick den Fürsten streifte, erhaschte er ein kaum wahrnehmbares Nicken der Zustimmung.
Der Kaptin ist ein vorzüglicher Mann, dachte Ämar von Zaina.
Ob er jetzt schon die Zusammenhänge in ihrer vollen Tragweite erkannt hatte? Manchmal graute es den Fürsten vor dem unheimlichen Ahnungsvermögen des Kaptins seiner Leibwache, denn er wusste nicht, dass der Kaptin eine ähnliche Ausbildung gehabt hatte wie er.
Im Vergleich zu seinem Kaptin wirkte der Zenturio auf den Fürsten wie ein grober Klotz. Hoffentlich war die Entscheidung richtig, die tha Barga zu Tolts Wächter machte. Freilich durfte er nicht erwarten, dass ein normaler Zenturio über die fast tänzerisch schwebende Leichtigkeit und die Verstellungskünste eines erfahrenen Kaptins verfügte; aber ein etwas weniger ernster und schwerblütiger Mann, als es tha Barga zu sein schien, wäre ihm lieber gewesen. Andererseits mochte es für den unerfahrenen Tolt auch von Vorteil sein, dass sein Beschützer mächtiger wirkte als er selbst.
Von all dem hatte Tolt nichts wahrgenommen. Er kniete und sah die Stäubchen vor seinen Augen tanzen, und ihm war, als werde er von der Anwesenheit des Fürsten erwärmt wie ein alter Mann, der in der ersten Frühjahrssonne sitzt. Erschrocken fuhr er zusammen, als der Fürst ihn nun wieder ansprach.
»Tolt, du wirst mit einer Abteilung Fragonreiter zu eurem Wald fliegen. Dort werdet ihr alle Sammler holen, die ihr rasch auftreiben könnt, denn bis zum Morgen musst du mit den Sammlern und möglichst vielen Beeren wieder hier in der Stadt sein. Ich werde hier auf dich warten, Tolt. Dieser Auftrag ist sehr wichtig. Verstehst du?«
Tolt verneigte sich tief. »Ich verstehe.«
»Gut, dann bist du für heute entlassen. Vor Morgengrauen sehen wir uns wieder!«
Ich erhebe mich benommen und verbeuge mich vor dem Fürsten. Allerdings muss ich gestehen, dass ich den Zweck des fürstlichen Befehls durchaus nicht verstanden habe.
Hinter dem Fürsten taucht plötzlich wieder jener Offizier auf, der Kaptin der Leibwache, wie ich vermute. Mit knapp abgezirkelten Schritten geht er auf mich zu. Er ergreift meinen Arm und führt mich zum Ausgang des fürstlichen Gemachs. Hinter uns höre ich die Schritte des Zenturio tha Barga. Das beruhigt mich, denn zu ihm habe ich Vertrauen.
Am Ausgang sitzen vier der berühmten Fragonreiter auf dem Boden und spielen mit Rubawürfeln. Bei jeder Bewegung ihrer Körper knirschen die Lederschuppenpanzer.
Der Kaptin beugt sich zu einem der Männer nieder und spricht flüsternd auf ihn ein. – Schon nach den ersten Worten des Kaptins schaut mich der Fragonreiter spöttisch an. Während der Kaptin weiter zu ihm spricht, mustert er neugierig tha Barga, der neben mich getreten ist.
Durch meine Arbeit mit den Sammlertrupps bin ich nicht verwöhnt, was Gerüche anbetrifft, aber einen so widerlich beißenden Geruch, wie er den Panzern der Fragonreiter entströmt, habe ich noch nie gerochen. Man erzählt sich, dass Fragonreiter sich nur selten von ihren Tieren trennen und auch bei ihnen im Stall schlafen. Bisher hielt ich solche Gerüchte für übertrieben,
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