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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinald Koch
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Fuß auf, als fürchte er einzubrechen oder zu versinken. Der Boden federte ein wenig unter seinem Tritt, erwies sich jedoch als fest und begehbar. Nicht minder misstrauisch als zuvor tat er den zweiten Schritt, und nichts geschah. Das weiche Federn des Bodens erklärte sich zweifellos aus dem Nachgeben und Umknicken der grünen Fäden. Besorgt beobachtete er, wie sie sich langsam wieder aufrichteten, wenn er den Fuß hob. Ganz wie vorher sah die Stelle dann allerdings nicht aus. Einige wie Röhren gebaute Fäden erwiesen sich als starrer und nicht so elastisch. Sie waren unter Thomals Sohle abgeknickt und zerbrochen. Es schmerzte ihn, soviel Zerstörung auf diesem wunderbar gefertigten Bodenbelag anrichten zu müssen, aber es war Krieg, und sicher musste er noch Wertvolleres zerstören als Bodenbeläge.
    Mit großer Umsicht vermied Thomal alle Flächen, die eine andere Struktur aufwiesen als jene, die er analysiert hatte. Doch plötzlich verharrte er entsetzt, denn da war etwas tief unten, wo die grünen Fäden sich ineinander verflochten, das sich bewegte. Ein winziger, kaum einen Zentimeter großer Automat, der auf hellgrünen Stelzen Thomals Füßen auszuweichen suchte. Geistesgegenwärtig bückte sich Thomal und verfolgte den Miniaturautomaten mit dem Kampfstoffanalysator. Und diesmal blieb die Nadel im gelben Giftbereich, solange er den Automaten vor dem Echowerfer hatte. Das kleine Ding verschwand rasch in einer Spalte.
    Gelbbereich; das bedeutete keine gefährlichen Gifte, wenigstens nicht in den Mengen, die ein so kleiner Apparat mit sich führen konnte. Da fiel ihm endlich das Wort ein: Tier! – Das war es, was in der Instruktionsstunde als Tier bezeichnet worden war.
    »Weiter!« befahl er erleichtert, denn Tiere griffen angeblich niemals Menschen an, so hatte der Instruktionsoffizier jedenfalls gesagt. ›Tiere‹, so lautete die Definition, ›sind sich selbst reproduzierende biologische Einheiten von großer Mannigfaltigkeit der Gestalt und des Benehmens.‹ Sie hatten den Offizier über diesen unverständlichen Satz zu befragen versucht; der aber hatte sich auf keine Erklärung eingelassen. Später war in den Mannschaftsquartieren ein wütender Streit darüber entstanden, ob der Instruktionsoffizier selbst nicht Bescheid wüsste oder sie so sehr verachte, dass es ihm gleichgültig war, ob sie ihn verstünden oder nicht.
    Während sie weiter vordrangen, sah Thomal noch mehr Tiere. Seltsamerweise glich keins der Tiere einem anderen. Manche liefen auf langen dünnen Stelzen, andere bewegten sich mittels vieler hauchzarter Fädchen oder indem sie aus dem Körper heraus eine Nadel mit Widerhaken an der Spitze vorschnellten. Dies taten sie so lange, bis sich die Widerhaken irgendwo verfingen und sie den Körper nachziehen konnten.
    Schließlich erreichte Thomals Gruppe den kleinen Hügel, der ihnen als Zielmarke angegeben worden war, ohne dass sie auf eine ernstliche Gefahr gestoßen wären.
    Als sie begannen, sich dort einzugraben, entdeckte Thomal zu seinem großen Erstaunen, dass sich die grünen Fäden unterirdisch fortsetzten, nur dass sie unter der Erde bleich und haarfein waren. Dabei dämmerte ihm zum ersten Mal die Erkenntnis, dass all die Dinge, die er bisher staunend untersucht hatte, unmöglich menschlicher Kunstfertigkeit entstammen konnten; aber er war noch nicht in der Lage, diese Erkenntnis bewusst zu akzeptieren, denn weder in den Raumschiffen noch auf Adapor gab es etwas anderes als künstlich hergestellte Produkte. Alles, außer wilden, öden Felsen war dort von Menschenhand oder von Maschinen gemacht.
    Nachdem alle Sicherungsgruppen ihre Stellungen eingenommen hatten, begann man mit dem Ausladen der schweren Infanterieausrüstung. Raketenwerfer und Mannschaftspanzer schwebten unter den Antigravkränen zu Boden, und um jedes Raumschiff wurde eine Igelstellung aufgebaut mit provisorischen Bunkern und überdachten Laufgräben.
    Die adaporianischen Offiziere hatten die Kriegskunst aus Aufzeichnungen gelernt, die vor über 1000 Jahren entstanden waren. Zweifellos enthielten sie das Beste, was je über Strategie und Taktik erschienen war; aber Menschen, die seit so undenkbar langer Zeit in Isolierung und Frieden gelebt hatten, konnten sie nur eine höchst fragwürdige Belehrung bieten. Die Adaporianer wussten, dass sie auf Ne Par primitiv ausgerüsteten Armeen gegenüberstanden; aber sie richteten sich gedankenlos nach den alten Filmen und Büchern, die von ganz anderen Voraussetzungen

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