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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinald Koch
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und sagt: »Inta ist satt! Du brauchst wirklich keine Angst vor ihr zu haben. Sie hat erst am Mittag drei Zentner Fleisch gefressen.«
    Ich schüttele benommen den Kopf und denke an die alten Sammler, die wir kurz vor ihrem Tod in die Stadt schicken müssen, wo sie als Beifutter für die Fragons dienen.
    Mart unterbricht meine Gedanken: »Nun auf, Tolt, wir haben wenig Zeit!«
    Erneut packe ich die Strickleiter und klettere über den gewölbten Körper hinauf. Dabei zähle ich die Sprossen, es sind neun, und sie sind gut einen halben Meter voneinander entfernt. Etwa ab der fünften Sprosse fühle ich an meinen Knöcheln nicht mehr die buckelig-glatten Schuppen, sondern eine durch Riemen gespannte Lederdecke, die zweifellos zum Geschirr des Tieres gehört. Oben angekommen, ertaste ich einen mit Schnitzwerk verzierten Holzkasten, der innen weich gepolstert ist. Ich setze mich hinein, es ist die Sänfte, von der Mart gesprochen hat. – Kurz darauf höre ich seine Stimme dicht neben mir: »Du musst dich festschnallen. Wenn du noch eine Frage hast, dann frag jetzt! Während des Fluges können wir uns nur noch mittels Zeichen verständigen.«
    Ich überlege fieberhaft, ob noch etwas zu besprechen ist. Mir fällt plötzlich ein, dass wir noch nicht über das Ziel unseres Fluges gesprochen haben.
    »Kennst du den Wald von Duar Midza? Dort liegen unsere Sammlertrupps!«
    »Oh, ja, das weiß ich!« entgegnet Mart lachend. »Ich werde doch wissen, wo unser Futter weidet!«
    »Sind die Netze da?« frage ich.
    Mart klettert an meinem Kasten vorbei und verschwindet in der Dunkelheit vor mir. Einen Augenblick höre ich noch die Schuppen seines Lederpanzers über die porzellanharten Schuppen des Fragons knirschen. Plötzlich klickt irgendetwas weit vor mir, als wenn zwei Hölzer hart gegeneinander geschlagen würden. Im gleichen Augenblick werde ich in die Höhe geschleudert und schmerzhaft von meinen Halteriemen in die Polster der Sänfte zurückgerissen. Mit diesem einen Ruck ist die Unbequemlichkeit allerdings noch nicht vorbei; vielmehr setzt eine schwankende, stampfende Bewegung ein, die meine Sänfte heftig von einer Seite auf die andere schaukelt und mich dabei zwischen den Polstern hin und her wirft.
    Offensichtlich hat sich unser Fragon erhoben und läuft jetzt. Der Gedanke, dass dieser riesige Fleischberg laufen kann und ich von ihm getragen werde, ist beunruhigender, als das Tier im Ruhezustand zu erleben. Ich stelle mir vor, wie die krallenbewehrten Säulenbeine vorwärtsstampfen und Äste und Blätter zu Staub zermalmen.
    Vor uns öffnet sich lautlos ein ungeheuer breites und hohes Tor, das den Blick frei gibt auf den sternglänzenden Nachthimmel. Im Licht der Sterne erkenne ich zum ersten Mal die wahre Größe meines Reittiers. Rechts und links von uns stampfen andere Fragons dem Licht entgegen. Mart sitzt vorn am Halsansatz in einem Sattel. Er wendet mir den Rücken zu und dirigiert sein Tier mit zwei langen Stäben, die bis nach vorn zum Kopf des Tieres reichen.
    Unser Fragon watschelt als erstes aus dem Tor auf einen steinernen Balkon hinaus, der zu meinem Entsetzen nicht einmal eine Brüstung hat. Schon oft habe ich Fragons am Himmel fliegen sehen, und das erscheint ganz natürlich, wenn man auf dem Boden steht und hinauf schaut. Von ihrem Rücken aus gesehen, wirken die Tiere aber so schwer und plump, dass man ihnen nicht zutraut, sie könnten sich über einen Abgrund in die Luft schwingen.
    Ich blicke entsetzt in die Tiefe, sehe uns schon stürzen, doch im gleichen Moment entlädt sich zu beiden Seiten des Fragons ein betäubender Donner, der Abgrund verschwindet vor meinen Augen und statt seiner wogen in gleichmäßigem Rhythmus die schwarzen Flughäute. Das Rütteln und Schwanken meiner Sänfte hört auf, mir schlägt der Flugwind ins Gesicht und nimmt mir fast den Atem. Ich weiß, dass wir uns schon hoch in der Luft befinden, dass wir fliegen, und das Bewusstsein, zu fliegen, kommt wie ein Rausch über mich. Ich breite die Arme aus und die Luft streicht mir durch die Finger.
     
    Unter dem nächtlichen, mit silbernen Nägeln gestirnten Himmel Ne Pars flogen zehn ungeheure Schatten, strichen wie riesenhafte schwarze Schwanenfledermäuse über die Berge.
    Tolt hatte die Gurte gelockert und sich in seiner Sänfte zurückgelehnt. Über sich sah er das starre Glitzern der Sterne, die mit ihnen über das Land wanderten, und die Nachtluft strich ihm kühl über die Haut. Die lautlose, gleichmäßige Geschwindigkeit

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