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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinald Koch
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stürzenden Gesteinsmassen begraben würde; dann verlor er das Bewusstsein.
    Er träumte von weißem, grünlich schimmerndem Schnee. Mit hoher Geschwindigkeit glitt er auf dem Bauch einen Steilhang hinab, und der verharschte Schnee zerriss ihm Wangen und Kinn. Das Bild verschwand rasch, doch der ätzende Schmerz an der linken Gesichtshälfte blieb. Er erinnerte sich: Er lag in einer unbenutzten Abwässerröhre, – ein Schlag, der ihn zu Boden geworfen hatte. Die Fackel war erloschen, aber irgendwo in der Ferne glimmte ein matter hellgrüner Schein, der ihn in seiner Unbestimmtheit ängstigte und an die grausigen Märchen seiner Kindheit erinnerte. Da war noch etwas gewesen kurz vor dem Schlag, irgendetwas war ihm aufgefallen.
    Hinter sich hörte er patschende Geräusche, als schlage jemand mit der flachen Hand auf die nassen Steine.
    »Au, verfluchter Dreck!« murmelte eine benommene Stimme. »Mein Bein, oh, mein Bein! Verdammte Scheiße!«
    »Aber zu leben scheinst du noch«, entgegnete tha Barga, den der Fluch des Soldaten erleichterte, als habe er ihn selbst ausgestoßen.
    Vorsichtig winkelte er die schmerzenden Arme an, um sich in dem engen Rohr umwenden zu können. Prüfend atmete er die Luft ein. Noch immer mischte sich in den Schimmel und Modergeruch ein Rest des Harzduftes von der Fackel, aber noch ein anderer trockener Geruch war da. – Ja, natürlich, Mörtelstaub wie auf der Straße, als die Häuser zusammenbrachen.
    Er tastete nach dem Kopf des Mannes, der hinter ihm gekrochen war. »Wo bist du?« fragte er und hörte, dass seine eigene Stimme nur ein heiseres Flüstern gewesen war. Aber der Soldat, der eben noch geflucht hatte, antwortete nicht.
    »Hallo!« rief tha Barga, »wer mich hört, antwortet mit seinem Namen.« In seinen Ohren rauschte es, als stehe er im Wind, aber niemand antwortete ihm. Vielleicht sind sie nur bewusstlos, versuchte er sich einzureden und kroch noch ein Stück weiter zurück.
    Endlich, ertastete er das glatte Metall eines Helms und Schultern. Er tätschelte dem Mann die Wangen in der Hoffnung, ihn so wieder zum Bewusstsein zu bringen.
    »Oh«, stöhnte er endlich, »mein Bein!«
    »Hast du Feuer?« fragte tha Barga.
    »Ich glaube … unter mir … die Fackel!« stieß der Soldat gequält hervor. Tha Barga fasste den Mann an der Schulter und drehte ihn halb herum. Offensichtlich war er wieder ohnmächtig geworden, denn sein Körper war schwer und schlaff. Tatsächlich fand er unter der Brust des Soldaten die in gepichtes Tuch eingenähte Reservefackel. Er ließ den Bewusstlosen wieder zu Boden sinken und nestelte mit zitternden Fingern an der Verschnürung. Das Päckchen öffnete sich, und tha Barga zog die Fackel heraus. Woran sollte er den großen Schwefelkopf der Fackel anreißen? Die Wände der Kloake waren viel zu nass. Der Schwefel würde nur feucht werden und abbröckeln. Er löste die Lederriemen seines Harnischs. Mit den Fingerspitzen tastete er die Innenseite des Brustpanzers ab. Sie war zweifellos rau genug, aber auch das gehämmerte Metall war nass.
    Tha Bargas Verzweiflung verwandelte sich in Hass. Wenn ihm Tolt in diesem Augenblick vor die Fäuste gekommen wäre, hätte er ihn geschlagen. Was ihm dieses gänzlich unqualifizierte, dümmliche Bürschchen bisher schon alles eingebrockt hatte …! Plötzlich kam ihm ein Gedanke, wie er den Harnisch trocknen könnte. Er nahm das Tuch, in dem die Fackel eingenäht gewesen war, und rieb sich damit seinen Brustpanzer trocken.
    Als er die Fackel anrieb, zischte eine blendende Stichflamme auf, und obgleich fortsprühende Schwefel- und Harztröpfchen auf seine ungeschützten Beine fielen, schaute er dankbar in das gleißende Licht. Fast mit Gewalt musste er sich vom Anblick der Fackel losreißen.
    Neben ihm lag der Soldat, von dem er die Fackel genommen hatte. Ein großer Felsbrocken war durch die Ziegelwandung der Röhre gebrochen und hatte ihm ein Bein unter dem Knie abgequetscht.
    Tha Barga schaute in das bleiche Gesicht und wusste nicht, ob der Mann schon tot war. Er löste ihm den Harnisch und presste sein Ohr an den Rücken. Vielleicht hörte er einen schwachen Herzschlag, vielleicht war es auch nur sein eigener Puls. Er griff nach dem Dolch, zögerte einen Moment und stach dann zu.
    Altar tha Barga betrachtete den Steinbrocken. Es war hoffnungslos, ihn bewegen zu wollen. Die Röhre war viel zu eng, um hier zu arbeiten. Kleinere Steine und Lehmbrocken waren nachgerutscht und betteten den Felsen so ein, dass der

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