Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
wusste: Mit dem richtigen Mann an ihrer Seite hätte auch sie sehr viel erreichen können. Sie hatte sich nach all dem verzehrt, was sie als Barrants Frau hätte haben können. Doch er hatte sie ausgelacht und abgewiesen.
Nun, jetzt war sie diejenige, die ihn auslachen konnte. Ihr Urenkelsohn würde zu denen gehören, die in Zukunft das Land führten, während die Linie de Vries praktisch ausgestorben war. Sie hätte Barrant so viel geben können – sie hatte ihm so viel gegeben -, und er hatte ihr so viel genommen. Zu viel.
Amber hielt ängstlich die Luft an, während Blanche das Baby inspizierte, das sie in den Armen hielt.
»Er ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten«, sagte sie schließlich und lächelte Robert an, während Amber einen erleichterten Seufzer ausstieß.
»Amber glaubt, er sähe ihrem Vater ähnlich«, erklärte Robert und warf seiner Frau einen verschmitzten Blick zu.
»Einem russischen Emigranten? Unsinn. Ich sehe ganz deutlich, dass er deine Nase hat, Robert. Aber wenn es um ihren Vater geht, war Amber immer schon viel zu sentimental. Jay hat mich gebeten, dir seine besten Wünsche auszurichten, Amber. Er wohnt im Club seines Großvaters, solange ich hier bin. Ich habe ihm gesagt, es sei nicht nötig, dass er mich begleitet, aber er hat darauf bestanden.«
»Jay ist in London?« Amber war verdutzt.
Warum war sie so enttäuscht, dass er sie nicht besuchte oder ihr geschrieben hatte, er begleite ihre Großmutter? Es war dumm. Er hatte jetzt sein eigenes Leben. Und ich habe meines, dachte sie und hielt zufrieden ihren Sohn in den Armen.
Sechs Wochen nach seiner Geburt wurde Ambers Sohn in der privaten Kapelle auf Osterby auf den Namen Lucius Robert Vernon Devenish getauft und erhielt den Ehrentitel Viscount Audley. Sein Urgroßvater nahm an der Taufe teil, zusammen mit Ambers Großmutter. Beth wurde seine Patentante, und seine Patenonkel wurden Alistair und Sir Charles Afton-Blake, ein ehemaliger Schulfreund von Robert.
Um das Ereignis gebührend zu feiern, schenkte Lord Robert seiner Frau ein Diamantcollier, und der Herzog überreichte ihr aus dem Familienschmuck eine Parüre, die Robert unglaublich hässlich fand.
Nach ihrer Rückkehr nach London gaben Robert und Amber ein Fest, das die Times und die Vogue zum Fest der Saison kürten. Cecil Beaton fotografierte die junge Familie. Lord Robert stand stolz an der Seite seiner Frau, die ihren Sohn wiegte.
Der seidene Faden hatte gehalten, und sie waren in Sicherheit.
Zweiter Teil
25
England, 1935
»Aber, mein liebes Mädchen, natürlich geht er auf mein altes Internat, bevor er nach Eton kommt.«
Mit zweiundzwanzig verdiente sie wohl kaum noch, als »Mädchen« angeredet zu werden, aber Amber hatte nicht die Absicht, Robert darauf hinzuweisen, solange sie alle Feuerkraft für ein weitaus wichtigeres Thema benötigte.
»Robert, Luc ist erst vier, er ist noch ein Baby.«
»Weil du darauf bestehst, ihn wie eines zu behandeln. Das geht wirklich nicht, Amber. So etwas mag bei wohlhabenden Fabrikanten angehen, aber in Adelskreisen wird das anders gehandhabt.«
Ich werde immer noch nicht richtig akzeptiert, nicht einmal von meinem eigenen Ehemann, dachte Amber und senkte den Blick, damit Robert nicht sah, wie sehr sein unbedachter Kommentar sie verletzt hatte.
Lag es an ihrer Person oder an ihrer Herkunft, dass sie so empfindlich darauf reagierte, wie die Gesellschaft, in der sie sich bewegte, sie mit einer Mischung aus Verachtung und eifrigem Interesse beobachtete und abwartete, wie lange es wohl dauerte, bis sie in Ungnade fiel? Oberflächlich betrachtet, wurde sie vielleicht akzeptiert, aber es gab immer Leute, die beißende kleine Bemerkungen fallen ließen, damit sie bloß nicht vergaß, dass Roberts Titel ihre Herkunft nur verdeckte. Doch etwas anderes machte Amber noch mehr zu schaffen: Sie war eine Frau in einer keuschen Ehe, die sich ihre Tugend bewahren musste, wenn sie ihre Ehe aufrechterhalten wollte. Das hatte Robert ihr deutlich zu verstehen gegeben. Mehr als einmal hatte er gesagt, er werde keine Affäre dulden, auch wenn sie diskret geführt wurde und Affären in ihren gesellschaftlichen Kreisen allgemein akzeptiert wurden, weil man ohnehin nichts dagegen tun konnte.
Nicht dass sie versucht gewesen wäre, sich auf eine Affäre einzulassen; sie war Robert immer noch dankbar für alles, was er für sie und Luc getan hatte, den er liebte wie sein eigen Fleisch und Blut. Das allein war die sexuelle
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