Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Ödnis ihrer Ehe wert.
Wenigstens hatte sie Jay, ihren treuen Freund und Korrespondenten, jetzt mit Lydia verheiratet, in deren Gegenwart sich Amber trotz aller Anstrengungen nie recht wohl fühlte. Sie hatte erwartet, dass sie Jays Ehefrau mögen würde, und war unangenehm überrascht gewesen, als sich herausstellte, dass ihr das einfach nicht gelang. Während sich das in Kindertagen geknüpfte Band zwischen ihr und Jay sogar noch verfestigte, wenn Amber und Robert Blanche in Cheshire besuchten und sie und Jay sich in Gegenwart ihrer Gatten wiedersahen, hatte Ambers Verbindung zu Greg arg gelitten. Sie schrieben sich noch, doch auf Ambers lange Briefe voller Neuigkeiten kamen von Greg nur knappe, verkrampfte Antworten, in denen er sie nicht selten um Geld bat.
Gregs Ankündigung, er wolle in Hongkong bleiben, statt nach Hause zurückzukehren, hatte Amber erstaunt, und sie hatte den Verdacht, dass ihre Großmutter enttäuscht war, obwohl Blanche typischerweise nichts dergleichen geäußert hatte. Sechs Jahre war es inzwischen her, dass Greg nach Hongkong aufgebrochen war, und Amber fragte sich, wann sie ihn wiedersehen würde.
»Nach kurzer Eingewöhnungszeit wird er das Internatsleben lieben, das verspreche ich dir. Bei mir war es genauso«, fuhr Robert munter fort.
Amber hätte ihren Ehemann gerne daran erinnert, dass er das Internat deswegen geliebt hatte, weil er dort den Grausamkeiten entkommen war, die sein Großvater dem verwaisten Kind zugefügt hatte.
Sie war entsetzt gewesen, als Robert sie kurz nach Lucs Geburt gewarnt hatte, das Kind dürfe niemals mit dem Herzog allein gelassen werden.
»Er ist ein Sadist, es gibt kein anderes Wort, um ihn zu beschreiben«, hatte Robert knapp erklärt. »Er hat mir Fallen gestellt und mich dann bestraft, weil ich ihn angeblich angelogen hätte. Er hat mich so grausam verprügelt, dass du es dir gar nicht vorstellen kannst. Manchmal hat er mich in einen Schrankkoffer in seinem Zimmer gesperrt und einen ganzen Tag und eine ganze Nacht darin stehen lassen. Oft hat er auch gehöhnt, er würde weggehen und mich einfach dort lassen, und niemand würde mich je finden.«
»Warum hat er dir das angetan? Du bist doch sein Enkel – sein Erbe.«
»Er hat behauptet, er wolle mich auf das Leben vorbereiten, aber ich glaube, dass er eine Spur verrückt ist – vielleicht auch mehr als nur eine Spur.Wenn ja, haben wir umso mehr Grund, uns zu freuen, dass Luc nicht sein Blutsverwandter ist. Aber, wie gesagt, Luc darf niemals mit ihm allein gelassen werden, und er darf ihn auch nie ohne einen von uns besuchen.«
Roberts Enthüllungen hatten Amber schockiert, und sie hatte sich seine Warnung zu Herzen genommen.
»Lass uns nicht streiten, Amber«, meinte Robert nun und lächelte sie schmeichelnd an. »Du weißt doch, dass ich nie etwas täte, von dem ich glauben müsste, es könnte Luc schaden.«
Das wusste sie natürlich.Vater und Sohn waren unzertrennlich und beteten einander an.
»Außerdem ist es ohnehin noch zwei Jahre hin, bis er mein altes Internat besucht. Ich dachte, wir könnten dieses Jahr die Gästeliste für Schottland ein wenig ändern«, fügte Robert beiläufig hinzu.
Nach fünf Jahren Ehe kannte Amber natürlich die Anzeichen. Sie hatte sich schon Anfang des Monats gedacht, dass Robert wieder einmal verliebt war, und sein Vorschlag, die Gästeliste für die alljährliche Jagdgesellschaft auf ihrem schottischen Anwesen zu ändern, bestätigte ihren Verdacht.
Die Pflicht, Keuschheit und Treue zu wahren, galt natürlich nur für sie, nicht für Robert, und inzwischen erkannte Amber es ziemlich schnell, wenn Robert einer neuen Leidenschaft erlegen war.
»Wenn du möchtest«, stimmte sie ruhig zu; schließlich wusste sie, was von ihr erwartet wurde. »Ich hatte überlegt, bald nach Osterby zu fahren«, erklärte sie. Abrupte Themenwechsel konnte man auch zu zweit spielen. »Die Stoffmuster für das Prunkschlafzimmer sind da, und ich will sie mir natürlich ansehen, bevor ich Maurice grünes Licht für die Produktion gebe. Jim hat angeboten, sich mit mir in der Fabrik zu treffen und mir zu sagen, was er davon hält.«
Die Ländereien von Osterby und das palladianische Herrenhaus waren samt dem Titel 1933 an Robert übergegangen. Amber war entsetzt gewesen, als sie entdeckte, wie vernachlässigt das Haus war, hatte zu ihrer Erleichterung aber festgestellt, dass es sich eher um kosmetische als um strukturelle Probleme handelte.
Sie hatte sich über die
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